Mittwoch, 22. September 2010

Gewalt ist keine Lösung

Jetzt ist es doch passiert. Ich hatte schon darauf gehofft, übersehen worden zu sein, eine Akte, die in irgendeinem Schrank verstaubt. Nein, inzwischen werden wohl auch die ins Computerzeitalter eingestiegen sein. Obwohl, was so ein echter Amtsschimmel ist... Wie auch immer, ein Bekannter hat mir neulich gesagt: "Die vergessen keinen." So wie es aussieht, hat er wohl Recht gehabt. Seit einiger Zeit schlummert in einem meiner Aktenordner der Bescheid zur Musterung meines zuständigen Kreiswehrersatzamtes. Der Name allein sagt schon alles. "An der Front haben wir alles verheizt, wir brauchen Ersatz." Und wieder zeigt sich, dass unser lieber Staat Einiges vor sich hat, um sich den Zeiten anzupassen.

Ausgerechnet der geölte Blitz der CSU, ein Politiker, den ich bisher nur als Mann wahrgenommen habe, der gesagt hat, er könne verstehen, wenn die Soldaten in Afghanistan von Krieg sprächen und der sich dazu durchringen konnte, von "kriegsähnlichen Zuständen" zu sprechen und dafür auch noch bejubelt wurde.
Ganz zu schweigen von einigen Fotos seiner Person, vorzugsweise an der "Afghanischen Front"(Darf man das sagen oder ist das schon Kriegsvokabular?), die mich fatal an Werbeplakate für den nächsten Kinofilm oder gar an die Porträts alter Aristokraten auf einem Feldzug erninnerten. Allem Anschein nach verpflichtet Adel tatsächlich, zumindest was die Selbstdarstellung betrifft. Zu Gute muss man unserem Verteidigungsminister zu Guttenberg jedoch halten, dass er etwas ins Gespräch gebracht hat, das überaus wichtig ist. Nicht nur, weil es seit der Wiederbewaffnung der BRD 1954 Generationen junger Männer beschäftigt, sondern tatsächlich eine grundlegende Frage ist. Quo vadis, Bundeswehr?

Die Wehrpflicht ist ein Relikt der drohenden Gefahr, der Kalte Krieg könnte in Europa heiß werden. Sie ist ein Fossil der Zeit, als sich die Konfrontationslinie des Ost- und des Westblocks durch Deutschland zog und Bürger einer Nation zu Feinden machte. Diese Zeit ist glücklicherweise überwunden, was bleibt ist der Wurmfortsatz, der uns heranwachsende Männer vor die Wahl stellt: Töten lernen oder alten Leuten den Hintern abwischen. Abgesehen davon, dass eine der beiden Tätigkeiten tatsächlich sinnvoll und ethisch vollkommen vertretbar ist, kostet diese Wahl eine Menge Zeit. Von zwischenzeitlich 18 bis zum aktuellen Stand von 6 Monaten.
Heute leben wir, ebenfalls glücklicherweise, in einer Union, die neben Vorschriften zum Krummheitsgrad von Bananen vor allem eines geschaffen hat und zwar Frieden. Die Gefahr eines Krieges zwischen den europäischen Staaten, bis einschließlich des Zweiten Weltkrieges eine ständige Bedrohung, die ein ums andere Mal bittere Realität geworden ist, ist so weit entfernt wie nie. Im Gegenteil, Bündnisse garantieren einen internationalen Beistand im Falle einer militärischen Bedrohung von außen. Die Bundeswehr könnte also vom strategischen Standpunkt durchaus darauf verzichten, sich eine stille Reserve von Rekruten heranzuziehen. Diese Reserve würde ihre Zeit vielleicht lieber für eine Ausbildung oder ein Studium aufwenden, statt für den Morgenappell.

Ein Argument, dass häufig für die Wehrpflicht ins Feld geführt wird (schon wieder Militärvokabular)ist, dass durch sie die Verbindung zwischen Bevölkerung und Armee aufrecht erhalten werde. Verbindung zwischen Bevölkerung und Armee? Wieso muss ich schießen lernen, um die Verbindung zur Armee aufrecht zu erhalten? Und ganz abgesehen davon: Will ich überhaupt mit einem Verein verbunden sein, der das schmutzigste Handwerk der Menschheit ausführt, teilweise absolut barbarische Aufnahmerituale pflegt und mich dazu ausbildet, das Grundrecht eines jeden Menschen, nämlich das auf Leben mit Füßen zu treten? Die Antwort darauf muss wohl jeder für sich selbst finden, ich jedoch weiß, dass ich das nicht will. Die Wehrpflicht zwingt mich trotzdem dazu, mich von irgendwelchen Leuten auf Herz und Nieren und diverse andere Organe, die man in der Öffentlichkeit nicht zur Schau zu stellen bereit ist,und meine "psychische" Eignung untersuchen zu lassen. Sie könnten mich auch einfach fragen, ob ich mich damit einverstanden erkläre, das kärgliche Bisschen an moralischen Grundsätzen, die sich die Menschheit zwischen den Kriegen erarbeitet hat aufgeben und stattdessen wieder in die Steinzeit gehen will, in der das Motto "Und willst Du mein Freund nicht sein, so schlag' ich Dir den Schädel ein" noch nahezu alternativlos* war.

Heute haben wir, wieder einmal glücklicherweise, Einiges mehr, was uns zu tun übrig bleibt, wenn wir mit jemandem nicht einig werden, statt ihn über den Haufen zu schießen. Wie sollte man es schließlich anders bezeichnen, als als Glück, dass uns das überhaupt gelungen ist, wo unsere Geschichtsschreibung so voller kriegerischer Auseinandersetzungen ist, dass die Geschichte häufig mit Hilfe der Daten von Kriegen, statt mit der zwischen ihnen liegenden Friedenszeit, charakterisiert wird? Krieg ist eine Konstante des menschlichen Lebens gewesen seit der Mensch auf die Idee gekommen ist, seinen angespitzten Stein nicht ins nächste Reh, sondern in seinen Nebenmann zu stoßen.
Vom "Jäger und Sammler"-Image haben wir uns erfolgreich gelöst, warum nicht auch vom Krieg? Die Alternativen sind mannigfaltig. Wir können inzwischen recht gut sprechen, haben Kunst und Wissenschaft auf ein erkleckliches Maß vorangebracht. Wobei gerade die Wissenschaft leider auch dazu geführt hat, das wir vom spitzen Stein ausgehend auch ein erschreckend großes Maß an Mordwerkzeugen dazu bekommen haben. Einige mit einem solchen Zerstörungspotential, das genauere Reflektion über sie eigentlich zwangsläufig dazu führen sollte, von ihnen Abstand zu nehmen, so sollte man meinen.

Trotzdem hat jeder Staat, der etwas auf sich hält, Militär und ist bereit es einzusetzen, sollten die anderen Mittel schon ausgeschöpft sein oder auch nicht. Ein Mann, der vermutlich etwas davon verstanden hat, hat einmal gesagt, Krieg sei die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln. Bedauerlicherweise trifft das ziemlich genau das Verständnis von Krieg, das sich die überwiegende Mehrheit der Menschen in verantwortungsvollen Positionen zu eigen gemacht zu haben scheint. Hinzu kommt, dass die nicht nur Krieg als sowohl legales als auch legititmes Mittel ansehen, sondern auch ein ganzer Wirtschaftszweig es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheint, die Selbstzerstörungstriebe des Menschen mit, ja wortwörtlich, mit Munition zu versorgen. Ein anderer kluger Mann, der es sogar zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gebracht hat, sprach in diesem Zusammenhang vom "military-industrial-complex". Damit trifft auch er ziemlich genau die Realität. Nicht von ungefähr kommt es, dass bis heute Stimmen laut sind, wonach große Teile der afghanischen und irakischen Offensive der USA von Firmen ausgestattet wurden, die zufällig genau den Männern gehörten, die sie beschlossen haben.

Aber wenn es uns gelänge, dass sich weder junge Männer, noch in zunehmendem Maße auch Frauen, dazu verdingten, Handlanger dieser Leute zu werden, dann würde das Phänomen Krieg beinah ebenso schnell verschwinden. Krieg lässt sich nur mit Soldaten führen, es mögen weniger geworden sein, dennoch braucht es neben den technischen auch menschliche Tötungsmaschinen. Selbst wenn ihre einzige Aufgabe darin besteht, auf einen roten Knopf zu drücken. Wenn es erreicht würde, dass das Verständnis in allen Menschen reifte, dass Krieg kein Spiel, keine mathematische, noch wissenschaftliche, noch rationale, geschweige denn zu rechtfertigende Operation ist, dann hätten wir es geschafft. Leider hat dieses Verständnis die breite Masse in der Vergangenheit immer erst dann erreicht, wenn schon alles zu spät war.
Gewalt ist keine Lösung, dieser Spruch ist keine abgedroschene Formel, sondern ein Grundsatz, für den es sich zu streiten lohnt, gewaltfrei versteht sich.

*Am Rande: Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass die Regierung in letzter Zeit beeindruckend viele "alternativlose" Gesetzesentwürfe und Reformen auf den Weg gebracht hat?

Keine Kommentare: