Donnerstag, 1. März 2012

Manchmal...

Manchmal braucht es nur die richtige Umgebung und die Gedanken bewegen sich von allein so sehr, wie man es manchmal nicht durch Anstrengung bewirkt.

Von außen sah es aus wie einer dieser riesigen Glaskästen, die einem das Gefühl betonter Modernität vermitteln, und bei mir immer auf eine gewisse Abwehrreaktion gestoßen sind. Auch der Eingangsbereich wirkte eher wie die Eingangshalle eines Bahnhofs oder einer dieser geschniegelten Banken, inklusive des dort anzutreffenden geschäftigen Treibens. Nur das übergroße Goetheportrait vermittelte mir einen ersten Eindruck davon, dass ich mich weder im einen, noch im anderen befand. Ein Blick nach oben zeigte mir, dass vier Etagen über mir darauf warteten, genauer untersucht zu werden.

Nachdem ich die Einlassformalitäten hinter mich gebracht hatte, namentlich die Ablage der mitgebrachten Tasche und Jacke in einem Spint, begab ich mich in das dritte Obergeschoss, das vorläufige Ziel meines Besuchs. Die hölzernen Stufen waren abgewetzt und blank poliert von all den Füßen, die sie jeden Tag auf dem Weg nach oben und nach unten betraten. Oben war es viel ruhiger, obgleich hier nicht viel weniger Menschen unterwegs waren, als am Eingang. Der Raum war groß, mit Teppich ausgelegt, im Gegensatz zum steinernen Boden im Erdgeschoss. Er dämpfte meine Schritte und ich ließ meinen Blick über die Einrichtung schweifen, ein paar Rechner und viele, sehr viele Regale. Die Außenwände ließen das Tageslicht herein, das als erstes auf Tischreihen an den Raumseiten traf. Als ich zwischen die Regale trat, hatte ich das Wort vom "säkularen Gewisper der Bücher" von Umberto Eco im Ohr.
Und je länger ich in der Bibliothek saß, je länger ich in den Werken blätterte, die mir für meine Arbeit vielversprechend erschienen, desto mehr konnte ich nachvollziehen, was er wohl gemeint haben könnte.

Jeder neue Gang, der mich zwischen die Regale führte, ließ mich das Gefühl spüren, dass sonst immer beim Blick in den Sternenhimmel, auf dem Meer oder am Fuß großer Berge auftauchen soll, das Gefühl, dass man selbst nicht einmal einen Fingerhut voll dessen erfahren hat, was die Welt ausmacht. Den ganzen Tag lang las ich und je länger ich las, desto deutlicher wurde mir, wie viel mehr es zu lesen gab. Jeder neue Tag verging wie im Flug und trotzdem hatte ich das Gefühl, wieder ein wenig weiter fortgeschritten zu sein als am Abend zuvor. So viele Bücher, neue wie alte auf einem Fleck und diese allumfassende Ruhe machten diesen Ort zu einem Platz, an dem ich mich so gern aufhielt, wie kaum an einem zweiten sonst. Am Anfang war mir eine ganze Woche lang erschienen, doch hinterher verging sie in einer rasenden Geschwindigkeit. Zum Glück habe ich noch ein paar Jahre vor mir, in denen ich noch mehr Zeit an einem solchen Ort verbringen kann.

Mittlerweile habe ich auch eine neue Idee zur Glasfassade, die mir besser gefällt. Mit der Glasfassade ist es wie mit einem guten Buch: Der Umschlag lässt jemanden einen Blick auf den Inhalt werfen, es steht ihm danach frei, hineinzutreten oder nicht. Wenn man aber Ersteres tut, wird einem erst dann bewusst, dass es drinnen noch viel größer ist, als einen der Umschlag vermuten ließ.