Samstag, 4. August 2012

Übertriebene Großohrigkeit

Nein, das hier ist kein Kommentar zur stiefmütterlichen Naturanlage, die ein gewisser Prinz Charles dieser Tage zu Olympia wieder häufiger zur Schau stellt. Es geht vielmehr um etwas, das mir immer wieder begegnet und bei dem ich mich immer wieder frage, wie man auf die Idee kommen kann, sowas freiwillig mit sich anzustellen. Körperschmuck ist eine heikle Sache, die einen sind dafür die anderen dagegen, mir ist es weitgehend egal, was die Leute so mit ihren Körpern anstellen. Obwohl, hin und wieder ertappe ich mich dann doch beim (mentalen) Kopfschütteln.

Vor ein paar Jahren war Pearcing in und auch das nahm und nimmt teilweise bizarre Formen an. Doch gehören zum Glück bis auf einige wenige Ausnahmen die Leute mit mehr Blech im Gesicht als jeder normale Mensch für möglich halten sollte mittlerweile der Vergangenheit an. Tattoos sind der Dauerbrenner und sieht man sich die EM noch einmal genauer an, könnte man meinen, heute komme es neben spielerischem Können vor allem auf eine möglichst umfassende Kartierung der eigenen Haut an. Nicht ein Team dabei, dass nicht wenigstens einen Spieler dabei hatte, dessen Arme wie eine Plakatwand aussahen. Das ist eigentlich die Sponsoringmarktlücke: In Zukunft braucht es keine  Banden- oder  Trikotwerbung mehr, jeder Spieler lässt sich seine Sponsoren einfach direkt in die Haut einritzen und schon gibt's auch keine Streitigkeiten mehr, wie lange der Werbevertrag laufen soll. Aber ob nun Teletubbies oder "I love Mum", auch daran habe ich mich mittlerweile irgendwie gewöhnt.

Was mich aber nach wie vor in Staunen versetzt ist das in letzter Zeit sich mehrende Auftreten überdimensionierter Ohrverschönerungen. Obgleich auch einige Europäer es mit dem Nichtkleidungsornat ziemlich übertreiben...als erstes fielen mir da doch immer diese Südseevölker ein, die sich mit Vorliebe Tonscheiben in die Unterlippe...oder auch diese an Giraffenhälse erinnernenden durch Metallringe gestreckten Kopf-Schulter-Verbindungen. Ich habe mir mal sagen lassen, dass die Halswirbel irgendwann so schwach sind, dass es die Ringe braucht, damit den Frauen der Kopf nicht dauerndvom Hals auf die Brust fällt. Was man dort noch als Brauchtum und fremden Kulturkreis entschuldigt, wirkt nach Europa transferiert, als hätten sich die Leute ihre Radfelgen fälschlicherweise in die Ohren gedübelt. Dass der Ohrschmuck teilweise monströse Formen annimmt ist nichts Neues, nur war das bisher immer unterhalb des Ohrläppchens der Fall. Ich erinnere nur an die Modelle "Riesenreifen", bei denen man dachte, dass die jeweilige Dame sich diese wenn nötig lässig über den Kopf stülpen könne oder, auch sehr schön, "Esstischkronleuchter", bei dem ich mich immer gefragt habe, ob die eigentlich durch Kerzen erweiterbar sind.

Aber zurück zum neuesten Trend. Diese neuen Dinger begnügen sich nun nicht mehr damit, unterhalb des Ohres auszuufern, nein, sie sparen sich diesen Umweg und werden gleich im Ohrläppchen riesig. Allerdings scheint es da auch je nach Geschmack verschiedene Größen zu geben. Fragt sich nur noch, ob der Träger das nach eigenem Gutdünken entscheiden darf, oder, was ich ebenfalls für plausibel halte, eine gewisse Hierarchie innerhalb dieses erlesenen Zirkels (man beachte das Wortspiel) herrscht. Je nach Verdienst um die gemeinsame Sache entschiede sich dann, wie groß die jeweilige Radfelge ausfallen darf. Zugleich ist so gesichert, dass die Jünger untereinander die Rangfolge erkennen können. Je nach dem, ob das Gegenüber einem über- oder untergeordnet ist, besitzt es größere oder kleinere Ohrreifen als man selbst. Ja, das wird es sein: Ein erlauchter Geheimbund, der sich anschickt, alle Körperaccessoirs nur noch in absurder Größe zur Verfügung zu stellen. Damit man es auch ja nicht übersieht.

Nun ja wie dem auch sei, ob zufälliger Modetrend oder Ohrringilluminati, mir bleibt letztlich nur die Frage offen, was passiert, wenn die Leute eines Tages einen neuen Körperkult pflegen möchten. Ein einfacher Ohrring, egal wie pompös er außerhalb des Ohrs wird, hinterlässt kaum mehr als ein unscheinbares Loch, das nach ein paar Jahren wieder zuwächst. Was aber geschieht mit diesen Affenschaukeln in den Ohren? Da sieht Prinz Charles dann doch ganz annehmlich aus...Vielleicht hätte der eine oder andere gut daran getan, einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden, bevor er mit wehenden Fahnen zum Körperkünstler um die Ecke ging. In Zukunft wird es jedenfalls etwas Anderes sein, das im freien Spiel des Windes weht.