Sonntag, 25. Mai 2014

Die Idee

Sie ist nicht da, darum ringe ich.
Sie fehlt hier, also suche ich.
Sie ist da, das weiß ich.

Sie spricht, ich lausche.
Sie scheint auf, ich sonne mich.
Sie geht, ich seufze.

 Ich warte auf sie, worauf wartet sie?
Ich träume von ihr, wovon träumt sie?
Ich denke an sie, woran denkt sie?


So weit voneinander entfernt sind wir, wir sind uns doch so nah.
Eines Tages spreche ich sie aus.

Mittwoch, 5. März 2014

Omnibusgeschichten

Seit ich zur Schule gehe, ist der öffentliche Nahverkehr mein steter Begleiter. Ich bin ihn also gewöhnt und dennoch überrascht er mich immer wieder wegen der vielen kleinen Momente, in denen es mir wie der Schmelztiegel, die konzentrierte Form der großen Welt im kleinen vorkommt. Man könnte meinen, es sei die unpersönlichste Sache der Welt, jeder sei nur auf dem Weg zur nächsten Haltestelle und zu seinem Ziel, doch das stimmt nicht. Wer sich die Zeit nimmt, der kann sich auf den Weg freuen. Es sind diese Momente für die ich das Reisen schätze, da spielt die Aussicht, an sein Ziel zu gelangen, nur eine untergeordnete Rolle. Hier sind ein paar Geschichten, die mir so klar im Gedächtnis geblieben sind, dass ich sie aufschreiben musste.

Wie zerrupft sieht es aus. Blau auf weiß. Oder vielmehr weiß auf blau. Oder wie eine Straße, auf der der Schnee, von dem wir so wenig hatten, in lockerem Sande liegt. Oder wie das dünner werdende Fell eines weißen Tiers, nur passt die Wirbelsäule dort nicht hinein. Oder war es doch ein halber Reißverschluss? Und dort die Gischt, wo kommt die her? Quer darüber liegen die Streifen, die aussehen als gäbe es den Schlitten des Weihnachtsmannes wirklich und er hätte da seine Spuren hinterlassen. Und alles in einem so klaren Licht, das man meinen mag, es wäre eine ganz andere Zeit.

Dann kommt der Bus, hinein in die stickige Wärme, irgendwo bricht für ein kleines Kind die Welt zusammen, wenigstens der Lautstärke des Wehklagens nach zu urteilen. Ob es grad erfahren hat, dass das da eben nicht des Weihnachtsmannes Schlittenspur, sondern bloß das Überbleibsel irgendwelcher Flugzeugtriebwerke war? Während ich noch darüber nachsinne, wann es eigentlich gerechtfertigt ist, den Weihnachtsmann als Illusion zu denunzieren und ob es überhaupt in Ordnung ist, dem Nachwuchs erst einen solchen Floh ins Ohr oder eigentlich ins Herz zu setzen, nur um ihn dann nach ein paar Jahren unter Schmerzen operativ entfernen zu müssen, hat eine ältere Dame, nachdem sie soeben Fahrkartenautomat und Stempelanlage bezwungen hat, sich mit mitleidsvollem Blick dem kleinen Jungen zugewandt: „Oh, was ist Dir denn passiert?“, die Frage ist an den Jungen gerichtet, doch Tonfall und Blickrichtung zeigen eindeutig auf die Mutter als Adressatin, die gerade wieder beschwichtigend auf ihren Sprößling einredet. Im Blick der Mutter spiegelt sich eine Mischung aus Entschuldigung und Ratlosigkeit.

Und dann plötzlich das: „Was? Ach, hallo Schatz!“, der junge Mann hält das obligatorische Kommunikationsutensil zunächst noch eine Weile ans Ohr, dann plötzlich mit ungläubigem Blick von sich gestreckt, als könne er nicht glauben, was er da gerade gehört hat und müsse das dem anderen Ende der Telefonverbindung durch eine Grimasse verdeutlichen. Dann, als erinnere er sich schlagartig daran, dass er es hier mit einer auditiven, und nicht mit einer visuellen Verbindung zu tun hat, hält er es wieder an sein Ohr: „Hallo? Was? Ich kann Dich nicht hören!“ Sein Gegenüber scheint darüber großzügig hinwegsehen zu können, denn wieder spricht der Herr: „Ich hör Dich ganz schlecht. Was?“ Noch ein ungläubiger Blick und entgleiste Mimik in Richtung des Geräts. Wieder ans Ohr: „HÄÄÄ? Ich leg' gleich auf. Ich versteh Dich nicht.“ Entweder ist die Leitung in die andere Richtung genauso schlecht, oder am anderen Ende lauscht jemand, ohne zuzuhören. „Hallo, nein, ich hör' Dich immer noch nicht. Ich leg' jetzt auf.“ Ein neuer Blick, in dem sich nun die Ungläubigkeit mit einer gewissen Frustration mischt. Trotzdem kommt das Nächste unerwartet und ein wenig drastisch vor: „Scheiße, ich leg' jetzt auf, bist Du blöd?“ Auf den oben schon erwähnten Blick zum Apparat folgt ein befriedigt erscheinender Druck auf die offensichtlich berührungsempfindliche Oberfläche desselben. Es stellt sich mir die Frage, ob in diesem Fall das Gerät zum ersten Mal auf das „smart“ mehr Anspruch erheben darf, als sein Besitzer.
Der hat nach einem prüfenden Blick in die Runde, anscheinend beschämt, festgestellt, dass seine lautstarke Konversation ihn zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses hat werden lassen, und so versucht er, schnell den Ort des Geschehens zu verlassen.

Der Abschied.
Ein Trauerspiel in einem Aufzug.
An der Tür spielt sich derweil eine kleine Tragödie ab: Tochter, vielleicht 2 oder 3 Jahre alt und Papa sitzen schon fast, als dem kleinen Mädchen auffällt, dass Mama nicht mit eingestiegen ist. Die steht draußen vor der Tür und winkt lächelnd. Doch die Kleine will das nicht. Schnell ist sie wieder aufgesprungen und zur Tür gelaufen. „Mama, komm, wir fahren gleich.“ Mama schüttelt den Kopf und kniet sich vor ihre Tochter: „Nein, Papa und Du fahren. Ich komme erst später nach Hause.“ „Aber ich will nicht.“, über die Wangen des Mädchens kullern plötzlich Tränen. „Mama, komm mit.“ „Ich kann nicht, Schatz.“ Da hebt es ein fürchterliches Weinen an und das Mädchen streckt von tiefem Schmerz ergriffen die Arme nach der Mutter aus. Die umarmt sie und drückt sie fest an sich. Einige Momente stehen sie so umschlungen. Dann geht die Tochter langsam mit gesenktem Kopf an ihren Platz zurück. Kurz bevor der Vater ihr tröstend über das Haar streichen kann, dreht sie noch einmal schnell um und läuft wieder zur Mutter, die noch immer am Eingang kniet, und drückt ihr einen Kuss auf die Lippen. Dann reißt sie sich von der Mutter los und geht zu ihrem Sitzplatz und schmiegt sich an den Vater.

Wer ist hier der Chef(koch)?
Ein Lustspiel in einem Aufzug.
Rotwein-Guy: (zeigt eine selbstzufriedene Miene) „Und dann würde ich sagen, da Du ja Rotwein besorgt hast, tun wir davon auch 'was rein.“
Hackfleisch-Rechner: (schaut ihn ungläubig an) „Bist Du verrückt? In Bolognese gehört doch kein Rotwein!“
Rotwein-Guy: (hat den Tonfall des Gourmets angenommen) „Sicher, wenn man welchen zur Hand hat. Das gibt dem Ganzen noch den richtigen Kick.“
Hackfleisch-Rechner: (sein Tonfall hat dafür nur Verachtung übrig) „Du bist vollkommen verrückt, man tut in Tomatensoße niemals Rotwein.“
Rotwein-Guy: (man hört den erhobenen Zeigefinger aus jeder Silbe) „Wir reden hier ja auch von Bolognese.“
Hackfleisch-Rechner: (versucht es mit ein wenig Alltagsmathematik) „Ja, aber trotzdem, rechne mal das Hackfleisch raus, was bleibt dann?“
Rotwein-Guy: (triumphierend) „Ja wenn wir erst anfangen, das Hackfleisch rauszurechnen, können wir uns ja die Bolognese gleich sparen.“
Hackfleisch-Rechner: (herausfordernd) „Ich wette mit Dir, dass außer Dir sowas niemand tut, ich guck das nach.“
Rotwein-Guy: „Chefkoch?“
Hackfleisch-Rechner:„Ja.“
Rotwein-Guy: „Okay, sagen wir auf der ersten Seite sind mindestens drei Rezepte?“
Hackfleisch-Rechner: „Angenommen.“
(Sie schlagen ein.)
Rotwein-Guy: (Nach kurzer Pause) „Ich bin sowieso der einzige, der hier richtig was tut.“
Hackfleisch-Rechner: „Wieso?“
Rotwein-Guy: „Ich hab viel mehr Hackfleisch im Gepäck als Du.“
Hackfleisch-Rechner: (zeigt ihm einen Vogel) „Ach, Du spinnst doch!“

Hier ist meine Haltestelle und ich steige aus, in dem Wissen, dass morgen wieder eine Geschichte auf mich wartet.

P.S.: Die Überschrift ist für Altphilologen.

Freitag, 7. Februar 2014

Geschenke

Zugegebenermaßen etwas spät und damit in gewisser Weise schon eine traurige Einsicht, wünsche ich allen, die sich hier hin und wieder hinverirren ein frohes und erfolgreiches Jahr 2014. Das sich erst jetzt wieder etwas hier findet, zeigt leider auch, das meine eignen Vorsätze nicht recht haben fruchten wollen. Denn eigentlich hatte ich vor, schon zum neuen Jahr wieder hier neuen Lesestoff zur Verfügung zu stellen. Ich werde mich bemühen, es in Zukunft nicht an dem dazu nötigen Elan fehlen zu lassen. Hier aber zunächst einmal zum eigentlich Relevanten. Es ist ein altes Drama, dem sich der geneigte Leser wohl auch selbst schon gegenüber sah: Das Geschenk. Dies ist also nicht vielmehr als eine weitere persönliche Fußnote zu diesem Problem, in der sich der eine oder andere wiederzuerkennen sich im Stande finden dürfte.

Zunächst zum Begriff: Was ist „Geschenk“? Rein etymologisch betrachtet taucht es im Althochdeutschen als „gift“, so viel wie Gabe, Belohnung Geschenk, auf und ist in dieser Form ja auch heute noch, vor allem im Englischen "gift" oder "give", im Deutschen nur noch in feststehenden Begriffen („Mitgift“) vorhanden.
Geht man frei nach Ludwig Wittgensteins Sprachspielen an die Sache, dann kommt einem das Wort in den verschiedensten Kontexten unter. Beim späten Wittgenstein ist Sprache ein Spiel mit bestimmten Regeln und jeder Sprecher ist Mitspieler. Der Einzelne lernt durch die Beobachtung der Sprecher und erhält einen Eindruck davon, wie die Regeln sind, wenn er die Reaktion der Mitspieler auf einen Zug eines Spielers verfolgt, der entweder anerkannt oder kritisiert wird. Sprache verliert dadurch bei Wittgenstein an der von anderen früheren Ansätzen vertretenen Normativität und Anspruch, Wirklichkeit abbilden zu können, weil es schlicht ein menschliches Verhalten darstellt, zu parlieren.

Schaut man sich nun die Kontexte an, so findet man, dass solches gesagt wird: „Es ist ein Geschenk“ oder „Packen Sie es bitte als Geschenk ein“ oder bemerkt manchmal , man wolle „das nicht einmal geschenkt haben“. Es gibt „Geburtstags-“, „Weihnachts-“ oder auch „Brautgeschenke“. Man „schenkt“ jemandem „seine Liebe“ oder „sein Vertrauen“. Und dabei wird schon ersichtlich, dass der Inhalt eines Geschenks völlig unterschiedlicher Natur sein kann.
Es stellt sich darum aber die Frage: Was zu schenken es wert ist. Es entscheidet ja offensichtlich weniger der Inhalt als die Geste und dennoch nicht so sehr, dass sich die Mutter auch beim zwanzigsten Mal noch über Topflappen oder Lockenwickler freut, genauso wie der Vater in Anbetracht der Socken oder der Krawatte die Augen verdreht.

Es sollte also etwas sein, das zugleich die Wertschätzung für den anderen auszudrücken, zugleich aber auch die Wertschätzung des anderen einzufangen vermag. Ein Buch? Immer gut. Vor allem aus des Germanisten Sicht. Eines das schon der eigenen Qualitätskontrolle unterzogen worden ist? Das bewahrt vor der einen oder anderen bösen Überraschung, aber möglicherweise nicht vor der entscheidenden, nämlich dass der andere das Geschmacksurteil nicht teilt.
Eine CD? Prinzipiell dasselbe Problem, wobei hier ein Weniger an Unsicherheit im Geschmack mit einerm Mehr an Unsicherheit über den Bestand des Beschenkten tauscht.
Ohnehin scheint noch wichtiger aber die Originalität. Denn je besser, um es sprachtheoretisch zu formulieren, „Selbstoffenbarung“ mit „Appell“ verbunden sind, desto eher scheint sich der gewünschte Effekt einzustellen. Geld und mit solchem erworbenen Gütern haftet in diesem Zusammenhang immer ein gewisses Stigma an. Genauso schief aber würden die Blicke, wenn die selbstgemalten Bilder, die in Kindertagen so wohlwollend aufgenommen werden, ganz gleich sich wohl bei mir auch damals schon abgezeichnet haben muss, dass daraus nie ein Picasso werde, wieder zum Einsatz kämen.

Also was tun, sprach Zeus und klingt dabei so ratlos, obgleich ihm noch die geballte Macht der griechischen Gottheit zur Verfügung stand. Einige laufen im letzten Moment in den Laden und greifen das Nächstbeste aus dem Regal. Andere, hartgesottenere Gemüter sind in der Lage, einige sogar ohne mit der Wimper zu zucken, weiterzureichen, was sich in ihrem Besitz befand, ob nun durch Eigenerwerb oder schon da Geschenk. Die einzig zulässige Situation scheint aber zu sein, dass es sich dabei um etwas handelte, was ihnen selbst am Herzen hing. Da überwiegt klar der Anteil „Selbstoffenbarung“ und mit ein wenig Gespür für den Gegenüber können dies sogar echte Sympathieträger werden. Die absoluten Hardliner schließlich verschenken den mittlerweile sprichwörtlichen „Zehner im Umschlach“, wobei sich schon in der saloppen Aussprache die gleichartige Einstellung zur Sache insgesamt vollständig auszudrücken vermag.
Der entscheidende Gedanke, wie immer zum Schluss: Ein Geschenk ist ein zutiefst zweiseitiges, denn der Schenker kann, das „richtige“ Geschenk vorausgesetzt, nicht nur dem Beschenkten, sondern auch sich selbst eine große Freude damit machen. Und das ist letztlich das höchste Ziel.

Montag, 16. September 2013

Die Qual der Wahl

Es ist wieder mal soweit. Die Zeit ist reif und alle freuen sich drauf! Naja, eigentlich nicht, aber mancher vielleicht. Wer sich sicherlich darauf freuen dürfte sind die, die ohnehin schon da sind, wo sie deswegen hinkommen könnten, und die, die noch nicht da sind, aber deswegen dahin kommen könnten, deren Chancen, es tatsächlich zu schaffen, werden gemeinhin eher als gering eingeschätzt.

Die Rede ist natürlich von der Bundestagswahl 2013. Seit Wochen beschweren sich alle darüber, dass sie nichts davon mitkriegen, wie die Parteien sich auf den großen Termin vorbereiten. Stattdessen beschränken sich alle darauf, wenn doch mal aus Politikerkreisen etwas laut wird, das auch nur geringfügig nach Kritik am jeweiligen Gegner klingt, dies sofort solange als wahlweise „Wahlkampftaktik“, „Wahlkampfgehabe“ oder, mein Favorit, „Wahlkampfmodus“ zu bezeichnen, bis tatsächlich jemand glaubt, es handele sich ebendarum. Wahlkampfmodus, da habe ich immer das Bild eines mehr oder minder klugen Automaten vor Augen, der über zwei Weisen des Daseins verfügt: Entweder ist er so eingestellt, wie es jeder von ihm erwartet, und keiner schert sich weiter darum, während er ruhig in seiner Ecke steht und vor sich hinsummt. Plötzlich aber leuchten diverse rote Warnlämpchen auf, ein hohes Pfeifen wird laut und dann ist es passiert: Er ist im berüchtigten Wahlkampfmodus, in dem er unberechenbar und mit einem Mordsgetöse um sich schlägt, mit Vorliebe auf seine Kollegen.

Mitunter geht das nach hinten los und er muss, ebenfalls eine von mir heißgeliebte Redewendung, „zurückrudern“, oder was in letzter Zeit noch häufiger der Fall zu sein scheint, er muss von irgendeinem seiner Parteifreunde „zurückgerudert“ werden. Stellen Sie sich bitte folgende Idylle vor: Es sitzen Politikerin A und Politiker B, die hier nur Stellvertreter sind, gemütlich in einem kleinen Ruderboot, eins von diesen kleinen Nussschalen mit nur zwei Rudern und im besten Fall zwei Bänken. Im Hintergrund knödelt Louis Armstrong sein allseits bekanntes und beliebtes „What A Wonderful World“ aus dem tragbaren Radio. Während disneyesk die Vöglein um den Sonnenschirm kreisen, der beiden Bootsinsassen ein wenig Schatten gegen die Sommersonne spendet, genießen diese das Leben. Dann plötzlich Fade-Out für Louis oder wahrscheinlicher (und unserem aktuellen Zeitgeist geschuldet): Ein übermäßig kräftiger Bass teilt plötzlich den Song in gleichmäßige Viertel, während er um mehrere Schläge pro Minute beschleunigt. Wie im Fieberwahn beginnt B mit einem Megaphon, kein Mensch weiß, woher er das plötzlich hat, politische Parolen in die sommerliche Landschaft zu brüllen. Während die Vögel panisch das Weite suchen, ist A verzweifelt damit beschäftigt, B auf seinen Platz zurückzuziehen, der sich nun wild von einer Seite auf die andere wirft und weit über die Reling hängend seine Pläne verkündet. Hell blinken Warnlampen und tönen die Pfeifen. Endlich gelingt es A, B zum Stillsitzen zu bewegen und das Boot, das darob mächtig ins Schwanken geraten war, wieder leidlich auszubalancieren. Louis hat die Technos aus seinem Studio wieder vertrieben und etwas verschämt ergreift A die Ruder und hält auf das Ufer zu. Hatten Sie dieses Bild bei dieser Redewendung noch nie vor Augen? Nein? Nun, dann wurde es aber allerhöchste Zeit.

Und als wäre das alles noch nicht genug, ist dieser Politiker B in jeder Partei mindestens einmal vorhanden. Insbesondere wenn die politischen Katzen ihre parlamentarischen Ferien genießen, kommen deren Mäuse plötzlich auf die grandiose Idee, die Schlagzeilenflaute mit ihren geistigen Ergüssen überbrücken zu müssen. Das dabei die eine oder andere Schiffbruch erleidet ist von vornherein klar, aber was tut man nicht alles für ein bisschen mediale Aufmerksamkeit. Und so geistern immer wieder geniale Einfälle durch die Gazetten, wie zum Beispiel vor Kurzem der Einfall eines FDP-Vertreters, der meinte, man müsse die Engpässe bei der Deutschen Bahn einfach dadurch beseitigen, dass sich jetzt anständiges Bahnpersonal finde, das bereit sei, seinen Urlaub abzubrechen und einzuspringen. Wen er sich damit zum Freund zu machen glaubte, ist mir noch nicht ganz klar, sicher allerdings dürfte sein, dass die FDP von den Bahnangestellten nun ein paar Wählerstimmen weniger erhalten wird. Vielleicht sollte besagter FDP-Mann seine nächsten Ferien abbrechen, um diesen Fauxpas auszubügeln.
Ähnlich ungeschickt stellten sich sicherlich auch die Vertreter der Grünen an, die lautstark darauf bestanden, es müsse in Kantinen und Mensen in Zukunft einen vegetarischen Tag geben, an dem keine Fleischgerichte serviert werden dürften. So wichtig ich die Reduzierung des Fleischkonsums und so nobel ich die Haltung des Vegetarismus oder gar Veganismus finde, so schädlich dürfte für alle drei Anliegen ein solcher Vorschlag gewesen sein. Plump gesagt: Dem ausgewachsenen Fleischfresser verbietet man nicht einfach sein Fleisch. Etwas elaborierter: Auch die Ernährungsgewohnheiten gehören im weiten Sinne zu den Persönlichkeitsrechten des Menschen und demnach sind sie nicht so leichtfertig einzuschränken. Diese Maßnahme, einmal durchgesetzt, wäre darüber hinaus allenfalls ein Scheinsieg, denn, wenn ich mich so ausdrücken darf, das Schwein rettet man nicht, indem man sein fertiges Schnitzel nicht verzehrt, sondern indem man es gar nicht erst zum Schnitzel werden lässt. Soll heißen, tiefgreifender und damit wirkungsvoller wäre eine Maßnahme, die beim Bewusstsein der Leute ansetzt und nicht erst bei ihren Essgewohnheiten. Wer gewährleistet denn, dass man mit einem vegetarischen Tag in Deutschlands Kantinen nicht einfach bloß die Umsätze der nächsten Döner- und Currywurstläden in die Höhe treibt?

Aber was die Mäuse können, das können die Katzen schon lange und daher dauert es natürlich auch nie lange, bis diese wieder auf den Nasen der Republik herumtanzen. In noch nicht dagewesenem, weil technisch nicht erreichbarem Umfang hat die NSA-Affäre der Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass das geflügelte Wort vom gläsernen Bürger auf den Schwingen des amerikanischen Nationaltiers schwebt. Um Schadensbegrenzung bemüht und um das Wahlvolk nicht unnötig zu beunruhigen wurde hierzulande prompt ein Ausschuss gebildet, der mit der Aufgabe betraut war, ein wenig Licht in die Schatten der Geheimdienstarbeit zu bringen. Möglicherweise hatte die Bundesregierung tatsächlich gute Vorsätze, als sie mit allem gebotenen Respekt vor England und USA kroch. Die Antworten blieben dennoch aus. Die USA machten sich nicht erst die Mühe zu leugnen, das NSA und andere Geheimdienste Daten aus aller Welt in großem Stil abfischen, worüber man vermutlich noch dankbar sein muss, versicherten auch, es werde auf deutschem Boden deutsches Recht gewahrt. Das kommt in etwa der Versicherung des Nachbarn gleich, der auf der Leiter am gemeinsamen Zaun steht, einem die Kirschen vom Baum klaut, dabei freundlich grüßt und hochheilig verspricht, dazu nicht auch noch das Blumenbeet zu zertreten. Bei den Briten war die Abspeisung noch lapidarer. Es hieß, man müsse solche Anfragen direkt an den Nachrichtendienst des UK GCHQ stellen, da man nicht zu dessen Arbeit in der Öffentlichkeit Stellung nehme. Stellt sich eigentlich nur noch die Frage, ob das aus Ignoranz oder eigener Unwissenheit über dessen genaue Aktivitäten geschieht.

Und als wäre das noch nicht genug stellt sich dann doch tatsächlich ein gewisser Kanzleramtsminister nach monatelangem Hin und Her, das weiter nichts als Ratlosigkeit und Lippenbekenntnisse erbracht hat, vor die Mikrophone dieser Republik und erklärt die NSA-Affäre für beendet. Das hat mit dem Öffentlichkeits- und Transparenzanspruch, den eine Demokratie haben sollte, gar nichts zu tun, eher mit den genervten Eltern eines widerspenstigen Kindes, dessen Versuche, länger aufbleiben zu wollen, für beendet erklärt werden, bevor es wieder ins Bett gesteckt wird. Leider drängt sich mir dieser Eindruck vom Verhältnis zwischen Regierung und Wahlvolk auch an anderer Stelle immer wieder auf. Zudem heißt es aus derselben Partei, sei das informationelle Selbstbestimmungsrecht ein Idyll aus alten Zeiten. Jawohl, das ist es und in diesem Fall dürften sich die Konservativen ruhig mal ihrem Namen gemäß verhalten und dieses Recht konservieren. Natürlich ist jeder gehalten, seine Privatsphäre so gut es geht selbst zu schützen und mit den Informationen, die ihm gegeben werden und die er vergibt, sorgsam umzugehen. Aber wenn es sich um Lauschangriffe von staatlicher Seite handelt, dann ist der Einzelne klar unterlegen. In solchen Fällen ist es schlichtweg die Pflicht der eigenen Regierung, ihre Bürger vor solchen Angriffen zu schützen. Klar ist auch, dass eine Nationalregierung keine globale Gesetzgebung vollbringen kann oder sollte, aber es wäre schon ein Schritt, wenn man mit den anderen Staaten über solche Abkommen verhandelt, anstatt sich taub für die Anliegen der eigenen Bevölkerung zu stellen.

Erst recht unnötig ist die Behauptung, ebenfalls eines Unionspolitikers, keinem geringeren als unserem Innenminister nämlich, der kurzerhand die Sicherheit zu einem „Supergrundrecht“ erklärt, dem alle anderen Grundrechte unterzuordnen seien. Das ist nicht nur sprachlicher Unsinn, denn wenn man ein Supergrundrecht postuliert, kann man sich gleich an eine Verfassungsänderung machen, Grundrechte heißt dieser Kanon deswegen, weil er erst einmal grundsätzlich jedem und dabei jedes Recht gleichermaßen zusteht. Es scheint, nicht nur unser Innenminister, sondern insbesondere die Führung der „finest nation of the world“ sollte sich einmal an ihre Wurzeln und an die Worte eines ihrer Gründerväter erinnern, der in etwa sagte, wer seine Freiheit aufgebe, um ein wenig mehr Sicherheit zu haben, der werde am Ende beides verlieren. Im Kampf für die eigene Freiheit sollte man sehr sorgfältig prüfen, dass man sie dabei nicht selbst erstickt.

So sieht es derzeit aus. Etwas mulmig ist mir daher als Wahlberechtigter, blicke ich auf den nächsten Sonntag. Soll ich nun Politautomaten, Megaphonschwinger, Mäuse, Katzen oder Konservative wählen. Und womit werden sie uns dann in Zukunft erfreuen? Ich wünsche Ihnen jedenfalls ein glückliches Händchen am nächsten Sonntag im Lokal, in dem man vergeblich darauf wartet, dass ein Kellner die eigene Bestellung mit den aufmunternden Worten kommentiert: „Eine gute Wahl!“.

Mittwoch, 31. Juli 2013

Von Fliegen, Sommersonne, Akademikerkoller und (Un-)Ruhe

Man könnte sagen, dass dieses Stück Sprache einer der berühmten Endpunkte zweier sechsbeiniger, flugfähiger Tierchen ist, die einem zu dieser Jahreszeit so reichlich auf die Nerven zu gehen verstehen und deren Schicksal man, wenn man ehrlich ist, nur insofern der Betrachtung für wert erachtet, als es mit dem unseren in Verbindung gerät, weil sie mit enervierender Beharrlichkeit um unseren Kopf kreisen oder mit todesmutiger Blödheit das Zimmerfenster mit ihrem eigenen zu zerbersten versuchen. Obwohl: Endpunkt ist so auch nicht ganz richtig. Für die Fliegen mag es das Ende sein, geht man nicht davon aus, dass ihnen ein jenseitiges Dasein beschieden ist. In Bezug auf mein Anliegen stellt es aber eher den Beginn dar, wie schon unschwer an der Position dieser Passage im Dokument nachzuvollziehen ist. Es wäre, wenn ich so recht überlege, eigentlich treffender von einer Fingerübung zu sprechen, aber dann hätte konsequenterweise das oben gemalte Bild keinen Bezug mehr und das will ich nun auch nicht verantworten. Ich gebe also, wieder einmal, verehrter Leser, die Verantwortung weiter. Entscheiden Sie, ob es sich lohnt, die obigen Zeilen zu lesen. Sie könnten, zugegeben, einwenden, dass ihnen das an dieser Stelle nicht mehr hilft, doch kann ich mein Gewissen beinah rein nennen, denn dies liegt nicht in meiner Macht, sondern in der Natur der schriftsprachlichen Äußerung, die nicht anders als nacheinander lesbar ist.
Da wir nun die Einleitung hinter uns gelassen haben, können wir ohne weitere Umschweife zur Sache selbst kommen: Ich erwähnte eine „Fingerübung“ oder auch „Fliegenklatsche“. Nun, ich befinde mich am Ende eines weiteren Semesters und damit steht, wie mancher wissen mag, die Zeit der Hausarbeiten ins Haus. In Vorbereitung darauf, und weil mich das Thema, das ich mir für eine solche ausgesucht habe, so gefesselt hat, will ich nun ein kleines Stück davon hier auseinandersetzen... KLATSCH 

Es ist Sommer und das ist gut so. Prinzipiell jedenfalls. Überall Helligkeit und Wärme, am besten begleitet von der einen oder anderen Brise. Und vor allem Sonne, die Endorphine kitzelnde Sonne, so oft und so viel man will. Und das völlig kostenfrei und ohne jede Elektronik. Großartig! Sofort heben sich die Mundwinkel in der Umgebung und darüber finden sich schwarze, braune oder blaue auf jeden Fall aber „voll stylische“ Augengläser, die wohl in den seltensten Fällen tatsächlich wegen der schon erwähnten, manchmal blendend starken Feuerkugel am Himmel die Nase zieren, ganz zu schweigen vom Blau des Himmels, das jeder Beschreibung spottet.  Leider kitzelt diese Sonne nicht nur die Botenstoffe, sondern führt auch zu einem derart unverhältnismäßigen Flüssigkeitsverlust, dass einem jede Kleinigkeit zur erwähnenswerten Großtat (http://www.der-flix.de/images/heldentage/Tag_884.jpg) zu werden scheint. Und damit nicht genug, ausgerechnet diese Zeit fällt mit einer anderen Zeit zusammen, in der der gemeine Studiosus gezwungen ist, sich mit den geistigen Höhenflügen von Leuten zu befassen, die sicherlich ein gut klimatisiertes Schreibzimmer zur Verfügung hatten, in denen diese Höhenflüge nicht als Ikarusprojekt enden mussten...KLATSCH

Manchmal wird es einem wirklich nicht leicht gemacht: Da hat man sich gerade zu Bett gelegt und erwartet die sanften Arme Morpheus' und stattdessen hat man das Empfinden, sich eher auf einen zum Ausschwärmen bereiten Ameisenstaat begeben zu haben. Dieser trippelt nun ganz besonders über ein Areal und schreckt mit seinem Gewusel den eigenen Staat an grauen Zellen auf. Da laufen dann die Synapsen heiß und produzieren Idee an Idee, die einem den Tag über mal hätten einfallen sollen! Doch darauf nimmt die Maschine keine Rücksicht. Und dass man jetzt viel lieber den großen Aus-Knopf betätigt hätte, hat die Natur irgendwie nicht bedacht, als sie uns ein Bewusstsein aber keine Bedienungsanleitung dazu gegeben hat. Was ist das überhaupt für eine Erfindung, die sich selbst als die größte seit Menschen Gedenken feiert, die aber nicht in der Lage ist, sich dann, wenn man es will, in den Standby-Modus begibt? Wieso ist es so schwer, einfach mal auf Anweisung an nichts zu denken? Ich kann auf Anweisung an rosa Elefanten denken oder an schottenkarierte Giraffen, und ich bin mir sicher, dass das jetzt ganz viele Leser ebenfalls tun. Selbst wenn ich ihnen dringend davon abrate, sich solchen Unfug auszumalen. Müsste das Nichtdenken nicht einfacher zu bewerkstelligen sein als dieses Feuerwerk der Geistesblitze, das sich da gerade hinter meinen geschlossen Augen abspielt und mich fast dazu bringt doch wieder aufzuspringen und ihnen nachzugehen? Schließlich sind die Ameisen doch weitergezogen und die Ruhe kehrt ein...

Die größte Schweinerei aber wartet ja noch bis zum nächsten Morgen. Ist es nicht die wohl größte Unverschämtheit, dass ich mich nun, wenn ich diese insekteninduzierte, schillernde Vielfalt tatsächlich gebrauchen könnte, nur noch an einen Bruchteil davon erinnern kann? Oh nein, so einfach ist es nicht. Da stehe ich in den verstaubten Ruinen meiner Wolkenschlösser, sehe, wie der einstmals prächtige Eingang nicht mehr als ein verfallener Bogen ist. Die prächtigen Stufen haben deutlich an Glanz verloren, mal davon abgesehen, dass sie so trittfest nicht mehr aussehen. Die in der Nacht noch großartige Inneneinrichtung liegt zerschlagen in und um die Trümmer der Mauern, die ein mehrere Etagen umfassendes Monument stützten, als sie besser nicht dagewesen wären. Allein, nun sind sie da und lassen gerade und so eben erahnen, was da vor ein paar Stunden noch stand. Ein paar Stunden, die sich im Blick zurück als unüberwindliche Ewigkeit erweisen. Ein wenig melancholisch, aber vor allem spöttisch liegt der Torbogen wie ein Hohnlächeln vor meinen Füßen. Und als ich wieder hinsehe ist er verflogen, samt dem Rest der Reste meiner Ideen. Nun habe ich Stift und Zettel in der Hand, doch was vor mir liegt, ist ein weißes Blatt, dass auf frappierende Weise dem ähnelt, was in meinem Kopf zu finden ist. Die klaren Konturen haben sich verloren und ein fluffiges, weißes Etwas bleibt zurück, dessen Oberfläche hübsch anzusehen, dessen Inhalt jedoch schwer zu erfassen und noch schwerer zu durchdringen ist...

So sieht es aus, lieber Leser, ob es nun an den fliegenden Insekten, der erhöhten Sonneneinstrahlung, eventuellem Akademikerkoller oder den nicht fliegenden Insekten liegt, im Moment jedenfalls erstrecken sich meine Ideen selten über mehr als ein paar Grundpfeiler, wie aus der oben angezeigten Sammlung ersichtlich geworden sein dürfte. Das mag sich in nächster Zeit vielleicht ändern, ich hoffe wenigstens darauf, bis ich allerdings Fliegenklatsche, Sonnenbrille, Fachliteratur und Ameisenumsiedlungsutensilien aus der Hand legen kann, wird es allem Anschein noch ein wenig dauern. Für die Tastatur ist so oder so gerade kein Finger frei.

Mittwoch, 22. Mai 2013

Und zurück bleibt ein unbeschreibliches Kribbeln

Sieh da, Welt! Du siehst mich beswingt, denn der Musi Kus hat mich ereilt, ob dessen ich mich nicht enthalten kann, dies Wort einer quasi papiernen Dauer zu überantworten.

Worum es gehen soll? Ja, man ahnt es schon, um Musik. Und ähnlich, wie das eine oder andere gute Lied, lässt sie einen im Ganzen nicht mehr los, treibt einen zu atemberaubenden Höhen und das in mit gleichem Adjektiv beschreibbarer Geschwindigkeit. Mal ist sie zart und umgibt einen wie eine warme Aura, besonders dann, wenn einem zuvor kalt war, schwebt hier und mäandriert mit besänftigender Ruhe nach dort, aber immer umgibt sie einen, sodass man sich in sie hüllen kann, so zuverlässig wie in eine weiche Decke. Mal ist sie rot glühend, ohne Rast aber mit Macht und reißt einen mit sich vom Stuhl oder Couch, ohne Rücksicht auf die Inneneinrichtung. Keine Stimmung, die sie nicht einzufangen und im richtigen Moment wieder freizugeben weiß.
Und in eben diesem Moment, läuft sie zur Untermalung meines Treibens, wie fast immer, wenn ich eine Aufgabe zu erledigen habe. Denn mit Musik lässt die sich einfach besser lösen, wenn sie derselben nicht gerade im Wege steht. Überhaupt ist sie bei mir beinah allgegenwärtig. Dank sei an dieser Stelle auch meiner Musikanlage ausgesprochen, ohne die so manche Ohrgie gar nicht möglich wäre. Und wo die nicht zur Verfügung steht, gibt es ein tragbares, „nichtsdestowenigertrotz“ (Dieses Wort habe ich mal bei einem Interview von einem Schwimmathleten gehört und wollte seitdem unbedingt mal sehen, wie sich das geschrieben so macht.) zuverlässiges Gerät und das befeuert mit seinem Lauf meinen eigenen. Warum läuft Musik eigentlich? Weil sie so schnell an einem vorbeizieht, oder weil sie wie Wasser fließt? Vielleicht beides.
Hinzu kommt, dass ich für fast alles offen bin, was so mit Hilfe menschlicher und unmenschlicher Klangkörper alles zustande zu bringen ist, sodass mir beinah alles, was mir zu Ohren kommt, auch ein unwillkürliches Fußtappen oder Pfeifen entlockt. Vom Mitsingen muss ich leider, wenigstens im Beisein meiner Mitmenschen, dann doch Abstand nehmen, weil es schon einen Chor braucht um meinen „Beitrag“ zu vertuschen. Glück habe ich mit besagten Mitmenschen auch, weil sie wenigstens in Teilen meinen Geschmack teilen – überhaupt kann Musik ja mächtige Bande schmieden. So viel zur Theorie und Sonnenschein.

Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten... Und wie ich deutlich zu machen versuchte, bin ich in dieser Frage, und bemühe mich auch jeden Tag auf's Neue, es zu sein, wirklich tolerant. Aber das wird einem nun wirklich nicht einfach gemacht. Nach meiner eigenen bescheidenen Meinung gibt es drei, vielleicht vier Phänomene, die in dieser Beziehung in ihrer Schattenhaftigkeit kaum zu überbieten sind.
Da hätten wir zum einen die Leute, die einfach die falsche Musik mögen, und die, so groß die geheuchelte Empörung jetzt sein mag, jeder kennt. Die wären an sich noch nicht so schlimm, gehörten sie nicht meist auch noch zu einem der nachfolgenden Vereine.
Die zweite Gruppe ist in Fragen der Musik so verkrampft und engstirnig wie andere mit ihrer religiösen Überzeugung, wenn sie nicht ohnehin mit dieser zusammenfällt. Sie sind ausgesprochene Monotheisten und tolerieren neben ihrem keine anderen Götter. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, gehen sie mit demselben missionarischen Eifer wie einige Glaubensknallköpfe an die Sache heran.
Drittens gibt es Leute, die zur Gruppe der zweiten wenigstens zu gehören scheinen, die deren Eifer vielleicht aus Unvermögen weniger argumentativ zur Schau stellen, als das sie einfach direkt ihre sogenannte „Musik“ mit der gesamten Welt zu teilen versuchen. Und wo das nicht geht, wenigstens mit dem Rest der Fahrgäste im Bus oder Zugabteil. Nie war die Erfindung des Kopfhörers zugleich angebrachter und doch sinnentleerter als bei den Zeitgenossen, die ihre musikalisch begabte Elektronik zwar mit ebensolchen versehen, im selben Moment das Gerät aber bis zum Anschlag und darüber hinaus aufgedreht haben, sodass ich mühelos das, was für alle im Raum sich Befindenden hörbar aus den Lautsprechern quillt, auf seine eigene Sinnhaftigkeit hin prüfen kann. Meistens, so sind bisher meine empirischen Befunde, handelt es sich um a) Sinnloses Faselndes, b) Klischees Auswringendes, c) Frauen Verachtendes oder d) die eigene Potenz, im weitesten Sinne, ins Rampenlicht Stellendes. Ob hier Musik oder Hörer Henne bzw. Ei darstellt, darüber dürfte sich noch trefflich streiten lassen.

Viertens gibt es, und hierfür könnte man mich fast für einen Vertreter der zweiten Gruppe halten, wenn nicht jeder wüsste, dass es einfach wahr ist, was ich gleich zu sagen gedenke, [Schlager und Volksmusik], deren, zugegebenermaßen beachtliche, Hörerschaft gehirngewaschen sein muss. Anders ist einfach nicht zu erklären, wie man nach dem achtundneunzigtausendsten Mal immer noch eine Musik mögen kann, [die immer auf denselben vier Takten ihre Schläge und mit Sicherheit dazwischen einen tödlich langweiligen Smog aus sphärischen Klängen und Blasinstrumenten hat]. Unvorstellbar gar, wie man sonst diese Menge an [sedierten Klatschzombies] in den eigens für solche Folter eingerichteten [Fernsehinstitutionen] erklären wollte, die jede Woche wieder bereitwillig in denselben Keller zurückkehren, um sich vom [misstrauenerweckend gut gelaunten] Personal eine weitere Dosis verabreichen zu lassen. Wie gesagt, man könnte mich für ebenso engstirnig und missionarisch feuereifernd halten, hätte ich nicht vorgesorgt. Sollten Ihnen meine vorangegangenen Ausführungen nicht zugesagt haben, sollte es Sie überhaupt gegeben haben, biete ich Ihnen jetzt die Möglichkeit, den Abschnitt (von „Viertens“ bis zum Punkt vor „Wie gesagt,...“) noch einmal zu lesen. Da ich Platz und Zeit sparen wollte, habe ich hier einen Text-Dummy eingerichtet, angedeutet durch die eckigen Klammern, der mit wenigen Handgriffen Ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen angepasst werden kann. Hierzu müssen Sie lediglich den Inhalt besagter Klammern löschen und nach eigenem Gutdünken neu auffüllen. Nur zu, der Rest von uns wartet hier, bis Sie soweit sind. Ja, wir bleiben hier, keine Sorge. Der Rest macht solange Pinkelpause oder was weiß ich...

So, nachdem wir uns alle wieder eingefunden haben, auf die eine oder andere Weise erleichtert, kann ich ja fortfahren. All diese Gräuel, mit denen ich, mit denen jeder, beinah jeden Tag sich konfrontiert findet, lassen einen dann umso mehr wertschätzen, was einem aus den heimischen Lautsprechern entgegenkommt. Oder wenn es schon nicht die heimischen sind, dann wenigstens befreundete. Denn merke: Wo man singt, da lass dich nieder. Aber nur da, wo du bereit wärst, mitzusingen und zwar auch schon im nüchternen Zustand! Ach ja, die Nüchternheit, da habe ich doch schon wieder ein Phänomen für meine obige Aufzählung. Und Tanzen verdiente in diesem Zusammenhang eine ganz eigene Betrachtung... Ich habe bereits zuvörderst darauf hingewiesen, dass meine eigenen gesanglichen Talente doch zu wünschen übrig lassen, und niemand bedauert das mehr als ich. Beim Tanzen sieht es zwar ähnlich aus, doch habe ich es bisher immerhin, und hier besteht vielleicht noch Grund zur Hoffnung, zu einem Notfall-Kit gebracht. Aber es gibt Menschen, die ähnlich gestraft, jegliches Taktgefühl vermissen lassen und trotzdem zu singen versuchen, sei es nur einem erhöhten Alkoholspiegel, Verlegenheit in bestimmten Situationen oder Profiterwägungen geschuldet (und da rechne ich die Leute, die anderen Leuten ohne Sangestalent aber mit dickem Geldbeutel die Chance dazu geben, mit ein).
Aber ich wollte ja versöhnlich enden: Also könnte man den bereits zitierten Rat wie folgt modifizieren: Wo man vokaliert oder rhythmische Bewegungen zu gewissen in der Luft befindlichen Schallwellen auszuführen versucht, da lass dich nieder, unter sorgfältiger Prüfung der Bedingung der Möglichkeit der eigenen Partizipation an Sang und Tanz und vorigem Puste-Test, um rauszukriegen, ob man noch eine gerade Linie beim Laufen treffen kann. Zugegeben, das ist nicht mehr ganz so griffig und leicht, aber das ist es nie. Schließlich kommt es auch nicht so sehr darauf an, was man hört, sondern wie. Und ob man singen kann bzw. sollte. In diesem Sinne lässt sich die von mir gewählte Überschrift auch wieder auf magische Weise in den Text integrieren. Musik ist wie Musikus: Ein plötzlicher Impuls wird mit messerscharfer Wahrnehmung des eigenen Körpers und Euphorie belohnt, es ist nur die Frage, ob es die blauen Flecken lohnt.

Auf Wiederhören!

Freitag, 29. März 2013

Das Wort

Da saß er wieder einmal an seinem Pult, die Feder in der Hand, aber die Worte, sie wollten nicht kommen. Er hatte sie gebeten, sie hatten sich nicht gezeigt. Er hatte sie ignoriert, doch waren sie darin besser gewesen als er. Schließlich hatte er sie mit aller Gewalt auf's Papier zu bringen versucht, doch sie sträubten sich erfolgreich dagegen. Und so saß er wieder untätig vor einem neuen Bogen, nachdem er wegen der Wut über die eigene Unfähigkeit bereits mehrere Blätter zerknüllt und gegen die Wand geworfen hatte. Ein kleiner Haufen lag ihm nun gegenüber und grinste ihn höhnisch an. Natürlich konnte ein Haufen Altpapier, der vielleicht noch allenfalls als Schneeballersatz seinen Zweck haben mochte, nicht höhnisch grinsen, es war eher das Weiß, schneeweiß. So wie dieser aussah, wenn er sich gerade aus der Luft auf einen Zweig niedergesenkt hatte. Keine erkennbare Verunreinigung, keine Spur menschlichen Schaffens. Und genau das war es, was ihn zur Weißglut trieb. Wenn er wenigstens einen Strich auf den Blättern hinterlassen hätte. Ein rigoroser Schlussstrich quer durch die unbeholfenen Versuche, die Worte auf's Papier zu bringen, die nicht kommen wollten – nein, sie kamen nicht, wenn man sie rief. Dafür umso öfter, wenn man sie brauchte. Dann waren sie plötzlich da, kitzelten einen im Ohr und zauberten mit ihrer Wörterwärme ein Lächeln auf so manches Gesicht, tanzten einem vor den Augen so wild und zahlreich, das man sich fragen mochte, ob man überhaupt in der Lage sein würde, sie in Ordnung zu bringen. Vielmehr lief man Gefahr, von ihnen fortgerissen zu werden in einen euphorischen Taumel, der einem selbst, solange er anhielt, wie Sekunden erscheinen mochte, im Nachhinein sich aber als Stunden herausstellte, von dem andere aber nicht die leiseste Ahnung bekamen. Gesetzt den Fall, dass sie nicht diesem jemand höchst selbst auf der Nasenspitze herumtanzten.

Wörter kannten keine Zurückhaltung, egal wer sie, wo auch immer und wann auch immer äußerte. Sobald sie von der Zunge gesprungen waren, hielt sie niemand mehr auf, eigentlich war es auch schon auf der Zunge zu spät, wenn man es recht bedachte. Dort genügte ein unbedachtes Luftholen, denn sobald sie die Möglichkeit erkannten, nutzten Worte sie gleich. Nein, ihre Handhabung war nicht einfach, ganz zu schweigen von dem Versuch, sie auf eine feste Unterlage zu bannen. Sie liebten es nicht, denn eigentlich war ihnen das freie Schweben im Raum, die Sekunden und Sekundenbruchteile von plötzlicher Energie in denen sie sich drehten und wendeten, um dann erneut spurlos zu verschwinden, der liebste Raum. Ihnen fehlte auf dem Papier der warme Atem, der sie anbließ und ihnen die Kraft verlieh, bis in die höchsten Höhen aufzusteigen. Schnell umschmeichelten sie dann das Ohr eines anderen, wisperten leis' hinein oder traten sanft aber bestimmt auf, hin und wieder sogar, wenn sie besonders übermütig waren, nahmen sie ihre ganze Wucht zusammen und dröhnten im Kopf des Hörers, das er meinte, sich vor ihnen verschließen zu müssen. Doch das gelang nie wirklich gut. Wörter waren nicht dafür bekannt, trotz ihres heimlichen Daseins und nur plötzlichen Auftretens im Mittelpunkt, sich, wenn sie sich einmal den Weg gewählt hatten, von ihm abzuweichen. Oh, und nie nahmen sie etwas zurück, man konnte ihnen so viele weitere nachsenden wie man wollte, wenn sich dafür überhaupt welche hergaben. Die ersten die auftraten, hinterließen immer den bleibendsten Eindruck. Deswegen war es ja auch so wichtig, sie, wenn sie sich einem schon anboten, alle aufzunehmen und dann sorgfältig auszuwählen, welche man wann und wo wieder frei ließ.

All darüber dachte er so nach, während er mit erstarrter Miene und erstarrtem Schreibutensil an seinem Pulte saß. Er hatte wieder einmal umsonst gewartet. Er blickte noch einmal auf das immer noch weiße Blatt Papier vor ihm. Die so frohgemut ergriffene Feder, die nun nutzlos Zentimeter über ihrem Ziel verharrte. Er war gewissermaßen dem Schreiben so nah, wie man ihm nur sein konnte, ohne tatsächlich zu schreiben. Und doch hielt ihn eine unsichtbare, nicht zu durchbrechende Wand zurück. Er drückte unwirsch mit Daumen und Zeigefinger seiner Schreibhand gegen den Griff des Füllers. So kräftig, dass aus seinen Fingern schon das Blut wich und sie weiß wurden. Schon wieder weiß! Wie konnte eine so nichtssagende Farbe solche Wut hervorrufen? Entfernter konnte man dem Ausdruck nicht sein... Nichtssagend! Das war es, weiß war keine Farbe, um mit ihr zu sprechen. Unschuld und Reinheit haben nichts mit dem Sprechen gemein. Sprechen farbenfroh, war bunt, bei manchem auch schmutzig, aber nie war es so steril wie ein weißes Blatt Papier. Nur wer nicht zu sprechen wusste, dessen Blatt blieb weiß. Habe ich denn zu sprechen verlernt?! Bin ich nicht deswegen überhaupt hier her getreten? Warum sollte ich Stift und Papier, seit Alters her die zweitliebste Form der Kommunikation ergreifen, wenn nicht um damit zu sprechen? Also, ihr vermaledeiten Wörter kommt! Ich habe alles getan, was ich kann, damit ihr mich einmal wieder besucht. Was habe ich euch getan, dass ihr mich meidet? Dann, ganz langsam, er bemerkte es zunächst nicht, sammelte sich ein wenig Tinte an der frisch geprüften Feder. Langsam wurde es mehr bis ein einzelner Tropfen tief blau sich bereit machte, von der Spitze sich zu lösen. Ein seltsamer Lichtreflex erregte die Aufmerksamkeit des Schreibers. Gerade als er sich diesem zuwandte, hüpfte der Tropfen. Nur einer. Der Schreiber hielt den Atem an. Und mit einem nahezu ohrenbetäubenden Krachen traf die Tinte das Papier, um sich in rasender Geschwindigkeit darauf auszubreiten.

Winzige Äderchen bläulichen Lebens suchten sich einen Weg durch das faserige Material der Zellulose. Vor den ungläubigen Augen des Betrachters gab das Papier nach und wie auf einem See, in den man einen Stein wirft, strebten Wellen dem Rand des Blattes zu. Tiefes Blau breitete sich aus nur um kurz darauf abgelöst zu werden von schnell wechselnden Bildern, sodass das Papier zum Kaleidoskop noch nicht gekannter Welten wurde. Dort lag ein großer See, sodass der Schreibende zunächst noch glaubte, bloß Tinte zu schauen und sich noch fragte, wie ein einzelner Tropfen solche Ausmaße annehmen konnte. Doch dann war da ein fahles, klares Licht im Blau. Ein Mond. Er erhellte das Blau des Himmels, sodass man dessen Bläue erahnen konnte, während das darunter liegende Gewässer, so schwarz wie die tiefsten Tiefen des Kosmos wirkte. Und noch während dieser Gedanke im Kopf des die Feder Haltenden Gestalt annahm, zeigten sich auf der Oberfläche nun kleine Lichter diffus zunächst, doch dann immer konturierter. Sie schlossen sich zu Gruppen zusammen, mochten wohl Galaxien und Nebel bilden. Dann verloren sie sich in neuerlichem Nebel, der ihre Helligkeit zunächst schwächte und dann gänzlich verschluckte.

Aus ihm schälte sich eine junge Sonne, beschien eine Wiese umgeben von Bäumen und im Hintergrund ein Bauwerk, dessen Konturen, vom Nebel umfangen, doch schließlich deutlich erkennbar in die Höhe ragten. Wieder veränderte sich das Bild und weit oberhalb der Erde fand sich der Betrachter nun wieder, sacht' glitt er geradeaus, schraubte sich mal tiefer, mal höher und um sich selbst, schwebte zwischen Wolken hindurch, die die unwahrscheinlichsten Gestalten formten. Dann ein Gesicht, das mit leuchtenden Augen und einem breiten Lächeln vom Blatt zum Schreiber aufblickte. Es drehte sich zur Seite und neben seinem Profil erschien ein zweites, ihm zugewandtes Gesicht, das ebenfalls lächelte. Sie verfielen in ein lautloses Gespräch. Während sie sprachen entfernten sich die Gesichter von ihrem Zuschauer, sodass ihre Umgebung ins Auge fiel. In einer gemütlichen kleinen Stube saßen sie an einem Tisch und zwischen ihnen lag ein Blatt Papier. Weiß zunächst, doch dann ergriff die eine Gestalt einen Stift, um mit wenigen, leichten Strichen Wörter auf dem vormals unbeachteten Bogen auftauchen zu lassen. Mit einer einladenden Geste schob die erste der zweiten Gestalt das Blatt zu und hielt auffordernd den Stift von sich gestreckt. Da ergriff die zweite der ersten Hand. Gerade setzte sie mit sinnender Miene die Feder auf das Papier als das Bild sich noch einmal veränderte: Nun war das Blatt zu sehen und in klarer, fast zierlicher Schrift standen dort die Worte der ersten Gestalt: „Mit diesen Worten beginnt die Geschichte...“

 Widerwillig, zwischen unbändiger Vorfreude auf das Kommende und Trauer über das Vorübergehen zerrissen, löste sich der Schreiber aus der sanften Umarmung der Worte. „Danke“, flüsterte er.