Sonntag, 25. November 2012

Es wird kalt

Es war kalt, soviel ließ sich mit Sicherheit sagen. Grau war es, ja, auch das ließ sich schlecht leugnen. Es regnete zwar nicht, aber der Niederschlag zeichnete sich dafür umso deutlicher auf den Gesichtern der Passanten ab. Die plötzliche Unbeweglichkeit stand in krassem Gegensatz zu deren Eile. Schlichte Unbeweglichkeit. Monotone Starre. Unumstößliche Ruhe. Ein tiefer Atemzug in morgendlicher Atemlosigkeit. Niemand wollte verweilen, obgleich sie die einzig einladende Geste in dieser Unwirtlichkeit war. Noch dazu war es früh und jeder versuchte, so wenig Zeit wie irgendmöglich draußen zu verbringen. Jeder hastete von einem beheizten Raum zum nächsten. Sie aber nicht. Sie stand dort. Bereits seit zwei Stunden, ja, kaum dass die Sonne hinter der Wolkendecke zu erahnen war, konnte man ihre Umrisse dort wahrnehmen. Das Podest schmucklos. Dort an dem ewig gleichen Platz. Keine Inschrift, die zum verweilen einlud. Zwischen angespannten Mienen, allein ihre Züge ebenmäßig und glatt mit einem goldenen Schein darauf. Das Einzige, was an Wärme erinnert in dieser diesigen Luft. Noch ein Atemzug voll kühler Luft füllte die Lungen. Unbeteiligt starrte sie geradeaus. Keiner schien sie wahrzunehmen, so wie sie niemanden eines Blickes würdigte. Und dann doch eine Bewegung: Eine einzelne Münze, die so scheint es, laut durch die Luft wirbelt, bevor sie in einem Hut landet. Und dann bewegt auch sie sich. Eine fließende Bewegung, die man zuvor nicht für möglich gehalten hat. Eine Verbeugung und ein höflich gehobener Hut. Eine ebenso elegante Bewegung und der Körper erstarrt wieder. Der Blick wird starr. Die lebende Statue entschwindet aus der Welt der Lebenden. Ein Denkmal schlichter Unbeweglichkeit bis jemand von ihr Notiz nimmt. An diesem Morgen, an dem keiner draußen sein will. Es wird kalt.