Mittwoch, 16. November 2011

In nomine occupy?

Eigentlich sollte es um das neue Verständnis des Begriffs "Mythos" Ende des 18. Jahrhunderts gehen. Was mich aber an diesem Vorlesungstag wirklich zum Nachdenken anregte, war das beiläufig erwähnte Werk David Humes "Naturgeschichte der Religion", in dem er sich mit der Entwicklung der Religion beschäftigt, die sich vom Polytheismus hin zum Monotheismus entwickelt hat. Seine These: Parallel zur Entwicklung des Menschen vollzieht sich eine schon ebenfalls biologisch anmutende Entwicklung der Religion. Aus der Urbarbarei erblüht der Polytheismus, der irgendwann seinerseits verwelkt und Raum für den Monotheismus schafft. Der sich hier anschließende Gedankengang meinerseits sah etwa wie folgt aus:

Wozu gibt es eigentlich Götter? Nun, ähnlich wie der Gott haben sie die Aufgabe, die Welt am Laufen bzw. zusammenzuhalten. Neben dieser numinosen, ein wenig schwer fassbaren Autorität hat sich der Mensch außerdem vorgestellt, dass es vielleicht ganz nützlich sein könnte, eine weltliche Instanz zu haben, die sein Leben, je nach Form mehr oder minder lenkt. Die einzige Beziehung zwischen diesen beiden Autoritäten wäre also zunächst mal eine ähnliche Aufgabe. Es scheint ja doch recht vernünftig, erstmal ein ganzes Pantheon mit einer so großen Aufgabe, die Erde in Schwung zu halten, zu betrauen. Es gibt schließlich so Einiges zu tun. Von so weitläufigen Pflichten wie Gewitter oder Gezeiten erzeugen, den Sonnenzyklus herbeizuführen, Liebe, Täuschung, usw. in die Welt zu tragen, bis hin zu so eng definierten Aufgabenfeldern wie Verkörperung eines Flusses, kurz für eigentlich alle der, grobgeschätzt, 243.978.239 Aufgaben in der Welt braucht man eine zuständige Gottheit.

Wenn ich mir die Fülle dieser Aufgaben mal so vor Augen führe, wer ist denn bitteschön darauf gekommen, all das einem einzigen Gott, und sei er noch so allmächtig, aufbürden zu wollen? Tja, die Christen haben's getan, obwohl das da mit dem Monotheismus ja auch nicht so genau genommen wird. Findet zumindest Hume, der als Beispiel die Verehrung der Jungfrau Maria besonders im Katholizismus oder des St. Nikolaus in Russland anführt. Na gut, ein Grund könnte natürlich Bequemlichkeit gewesen sein. Schließlich waren die griechischen, genauso wie alle anderen Götter nicht unbedingt für ihre Barmherzigkeit und Allgüte, geschweige denn für ihre Zurückhaltung bei der Forderung von Opfergaben bekannt. Vielleicht hat es den Menschen einfach irgendwann gereicht, ständig auf 'zigtausende Altäre Gaben zu tragen, ohne überhaupt sicher sein zu können, dass ihnen die Angebeteten hernach wohlgesonnen waren. Nein, launisch waren die Biester ja auch noch, eben noch steht Zeus hinter dir und hält, was auch immer da kommen möge, mit Blitzen von dir fern, und im nächsten Moment kriegst du besagten Blitz selbst in den Rücken, weil du blöderweise vergessen hast, ihm mal wieder was auf den Altar zu schmeißen.
Ganz abgesehen davon, dass mit der Einführung eines Gottes, der sich größtenteils aus den Angelegenheiten seiner Anhänger heraushält, sich ja auch ganz neue Möglichkeiten ergeben. Nicht zuletzt die Aufgaben und der Zuständigkeitsbereich der weltlichen Autorität wachsen, was zumindest bei diesen Autoritäten dazu geführt haben dürfte, dass das, was früher verschwenderischerweise auf dem Altar und im Opferfeuer gelandet ist, nun auf den eigenen Tisch kommt. So gesehen, ein kluger Schachzug das mit dem Christentum.

Tja, aber auch bei Humes Tagen von Christentum und Gottesgnadentum sind wir nicht stehen geblieben, nein, kein Organismus lebt ewig. Denn auch dieser eine Gott hat sich gründlich unbeliebt gemacht. Besonders bei einer bestimmten Berufsgruppe, die es irgendwann leid war, für jede frei geäußerte Meinung mit eigens dafür erdachten Instrumenten gepiesackt oder bis zur Letalität auf den eigentlich schon ausrangierten Altären mit Opferfeuer erhitzt zu werden. Von irgendwelchen Spinnern, die ihrerseits der Meinung waren, dass das Geäußerte mit Sicherheit nicht der Meinung ihres unsichtbaren Freundes entspräche. Es folgt also auf den Monotheismus der Atheismus. Heute ist unsere Welt so weit säkularisiert, dass, ich möchte behaupten, fast überall der oder die Götter ihre Zuständigkeit an weltliche Instanzen abgegeben haben. Was einerseits bedeutet, dass "die-da-ganz-oben" sich mittlerweile einen lauen Lenz machen, andererseits aber, dass für alles, von dem wir nicht mittlerweile wissen, das es von allein läuft, "die-da-oben" zuständig sind. Es handelt sich nach sorgfältiger Schätzung meinerseits noch um etwa 243.578.234 Pflichten, die nach Abzug der automatisch funktionierenden Dinge, in der Welt noch zu tun übrig bleiben.

Der Knackpunkt ist, dass mittlerweile auch die weltliche Regierung bei den Menschen nicht mehr sonderlich gut ankommt, wie sich vielerorts schon feststellen lässt. Die Frage lautet: Was kommt dann? Denn obgleich ich mich immer wieder freue, zu sehen, dass es nicht nur offensichtlich noch Menschen gibt, die eine politische Meinung haben, sondern dass einige sogar bereit sind, für selbige auf die Straße zu gehen, frage ich mich auch, ob es denn so sinnvoll ist, wie viele fordern, solchen Bewegungen in Zukunft unsere Zukunft anzuvertrauen. Wir rufen uns ins Gedächtnis: Ein ganzes Pantheon hat die exakt berechnete Anzahl von 243.578.234 Aufgaben in der Welt nicht zu unserer Zufriedenheit (!)beweltigen können, der wenigstens noch allmächtige eine Nachfolger hat es auch vergeigt und obgleich sie geschickt taktiert hat, ist von der anfänglichen Euphorie für unsere menschlich-fehlbare Regierung auch nicht mehr viel zu spüren. Ist schon paradox, dass das jetzt die Leute auf der Straße regeln sollen. Obwohl, wer weiß... Erwin Pelzig hat vor nicht allzu langer Zeit gesagt, er sei gespannt, was nach der Krise komme. Ich glaube, ich auch.