Dienstag, 18. Mai 2010

Die Freiheit der Sonnenbrille

Dass sehr viele Menschen eine Sonnenbrille tragen, noch mehr eine haben, und fast alle eine haben möchten, ist nichts Neues. Dass eine Sonnenbrille allerdings die Antwort auf ein philosophisches Problem sein kann, das bereits Immanuel Kant gewälzt hat, wissen die Wenigsten.

Philosophie-Kurs, Dienstag, 9:35:
Unser Kurs sitzt, wieder einmal, über der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Eines der bekanntesten Werke Kants, die es in sich hat, sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Kant konstruiert seine Gedankengänge in solchen Satzungetümen, die heute, leider, nur noch von den wenigsten Lesern durchdrungen werden. Das hat zur Folge, dass wir die deutsche Ausgabe seiner philosopischen Abhandlung übersetzen müssen, als hätte Immanuel Kant diese in Alt-Latein verfasst. In dieser beinah frustrierenden Atmosphäre gelingt es, trotzdem Lichtblicke zu erhaschen. Für die einen ist das die Hoffnung auf die eine oder andere Erkenntnis, für die anderen die Aussicht darauf, dass auch dieses Übel vorübergehen wird.

Heute versuchen wir das Prinzip von Heteronomie und Autonomie nach Kant nachzuvollziehen. Nach einigem Bemühen gelingt es uns sogar, aus den kantischen Gebilden mehrere Grundsätze herauszufiltern. So ist Autonomie für Kant die Fähigkeit, nach Gesetzen zu handeln, die mit Hilfe des kategorischen Imperativs zu bilden sind. Der hat verkürzt auch Eingang in unseren Alltag gefunden: "Was Du nicht willst, das man Dir tu', das füg' auch keinem ander'n zu". Kant selbst lehnt diese Formulierung ab, was, wenn man sich eine Weile mit seinen Gedanken beschäftigt, einleuchtet. Er bevorzugt eher folgenden Satz: "Handle stets nach derjenigen Maxime, von der Du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde". Wer Zeit und Lust hat kann sich mit diesen Formulierungen genauer beschäftigen, sollte aber auch das entsprechende Durchhaltevermögen mitbringen.

Zurück zum eigentlichen Thema: Wer also mit einem gewissen Sprachgefühl und etwaiigen Lateinkenntnissen hinter Autonomie so etwas wie "Selbstbestimmung" vermutet hat, liegt nicht unbedingt verkehrt. Trotzdem weitet sich bei Kant dieser Begriff eben auf das "allgemeine Gesetz" aus, was bedeutet, dass es allgemein gültig, also unabhängig von subjektiven Gelüsten und Zielen sein muss. Dies wiederum ist nämlich Heteronomie, sozusagen die "Fremdbestimmung". Damit meint Kant solche Fälle in denen der Mensch handelt, nicht nach dem kategorischen Imperativ, sondern von einem "Objekt" bestimmt. Wer also etwas tut, weil er damit ein bestimmtes Ziel verfolgt, ist heteronom. Wer nicht lügt, weil er seine Ehre nicht verlieren will, der ist heteronom. Wer aber nicht lügt, egal ob es nun seiner Ehre schadete oder nicht, der ist autonom.

Kant stellt aber in diesem Zusammenhang noch eine weitere These auf. Autonom kann nämlich nur der sein, der vernunftbegabt und nicht von einer "Naturnotwendigkeit" bestimmt, also frei ist. Vernunftlose Wesen sind so Kant immer von einer oder mehreren "Naturnotwendingkeiten", seien dies Naturgesetze oder von der Natur gegebene Instinkte, abhängig und somit heteronom. Das Beispiel hierzu stammt aus unserem Kurs-Gespräch:
Ein Löwe legt sich unter einen Baum, wenn die Sonne am Mittag zu heiß scheint. Der Löwe tut dies, weil er Flüssigkeit und Energie sparen muss. Wir Menschen als vernunftbegabte Wesen dagegen können uns eine Sonnenbrille aufsetzen und uns in die Sonne legen.

Heimweg, Dienstag, 13:35:
Mit solcherlei Gedanken im Hinterkopf weiß ich es 4 Stunden später erst so richtig zu würdigen, meine Sonnenbrille aufsetzen zu können, und radle nach Hause.

Freitag, 7. Mai 2010

Agnostizismus

Vor Kurzem hatte ich ein sehr merkwürdiges Erlebnis, das mich bis heute beschäftigt.


Als ich vor einigen Wochen mit dem Fahrrad fuhr, kam ich an einen Bahnübergang, die Schranken waren geschlossen. Ich stieg also von meinem Drahtesel und wartete. Eine ältere Dame, ebenfalls auf dem Fahrrad, kam und stellte sich neben mich. Sie drehte sich zu mir und meinte: "Es ist ja doch etwas kühler heute." Ich antwortete nur mit einem kurzen Nicken. "Ich habe mir heute Handschuhe anziehen müssen, Sie scheinen da ja etwas abgehärteter zu sein.", bemerkte sie mit einem Blick auf meine blanken Hände. "Es geht noch.", erwiderte ich. "Naja, ich habe heute ja schon gebetet, dass es wenigstens nicht regnet.", offensichtlich war ihr nach ein wenig Smalltalk zumute. Ich sah sie an und sagte: "Das wäre ja immerhin schon was, wenn es trocken bliebe."
Ich wandte mich wieder meinem Fahrrad zu. Umso kälter erwischte mich ihre nächste Frage:"Glauben Sie eigentlich an Gott?" Ich wandte mich ihr wieder zu und überlegte kurz:
"Ja, ich denke schon, dass es so etwas wie ein höheres Wesen gibt. Aber nicht unbedingt so, wie es beispielsweise das Christentum sieht." Sie schien ebenfalls kurz zu überlegen: "Ja, so habe ich auch 47 Jahre gelebt und dann habe ich mir gedacht, dass es so nicht weiter gehen kann. Man kann sich eben nicht aus allem das heraussuchen, was einem gefällt." Sie sah irgendwo in die Ferne, blickte wieder mich an: "Und nun bin ich in der Kirche, weil ich glaube, Gott ist nicht nur ein höheres Wesen, sondern auch hier bei uns und er liebt uns." "Wissen Sie, wenn ich so sehe, was gerade wieder über die Kirche in der Zeitung steht, dann bin ich mir sicher, dass das Christentum nicht unbedingt mein Weg ist.", versetzte ich. "Ja.", ihr Blick schweifte wieder ab. Und bevor Sie etwas erwidern konnte, gingen die Schranken hoch. Ich begann in die Pedale zu treten und hörte noch, wie sie mir ein "Gott segne Sie!" hinterherrief.

"Glauben Sie an Gott?" was für eine seltsame Frage für ein 5-Minuten Bahnübergangsgespräch. Eine Frage, die mich dazu brachte, wieder einmal über dieses Thema nachzudenken.

Als Grundschüler war ich im evangelischen Religionsunterricht, ich war aber nie richtig Christ, zumindest habe ich mich nie so gefühlt. Meine Eltern haben mir nie irgendwelche Vorschriften darüber gemacht, was ich zu glauben habe. Dementsprechend freigeistig habe ich mich mit dem Thema Glauben beschäftigt. Irgendwann habe ich mir dann überlegt, dass das Christentum mir nicht zusagt. Spätestens als ich von Dingen, wie den "heiligen" Kreuzzügen und der "heiligen" Inquisition, erfuhr, war ich mir dessen sicher. Ein Gott der es zulässt, dass seine Gläubigen in seinem Namen solche Taten ausführen, mit dem will ich nichts zu tun haben. Später, als ich vom zweiten Weltkrieg und Atombomben wusste, stellte sich mir die Frage, ob es überhaupt einen guten Gott geben kann. Solche Dinge konnten mit Sicherheit nicht von einem allgütigen Wesen, dass den Menschen als seine Lieblingskreation sieht, verantwortet worden sein.

Meine Besuche in Gotteshäusern hielten sich deswegen auch eher in Grenzen. Als ich in die Orientierungsstufe kam, hatte ich, da diese nicht länger auf dem Land lag, auch Kontakt zu anderen Nationalitäten. Ich freundete mich unter anderem auch mit einem Jungen an, dessen Vater Pakistani und Muslim war. Bei einem meiner Besuche luden sie mich ein, am Gebet teilzunehmen. Wir richteten also die Gebetsteppiche nach Mekka aus und ich folgte dem Beispiel der beiden. Es war eine interessante Erfahrung, deren Wert mir eigentlich erst im Nachhinein klar geworden ist.

Doch auch der Islam, dessen "Boshaftigkeit" durch alle Medien propagiert wurde, mir ist noch ein schöner Auftritt des Kabarettisten Hagen Rether diesbezüglich in Erinnerung, hat mich nicht überzeugt. Gerade beim Islam habe ich mir aber auch Gedanken darüber gemacht, dass er keine schlechtere Religion als andere darstellt. Im Gegenteil: Fundamentalismus und Fanatismus ist in beinah jedem Glauben eine Randerscheinung. Der Islam wird vor allem so sehr verteufelt, weil wir so wenig über ihn wissen und weil er so schön in mancher Leute Feindbild passt. Nichtsdestotrotz bin ich auch der Überzeugung, dass beispielsweise , nach allem, was mir darüber zu Ohren gekommen ist, die traditionelle Rolle der Frau im Islam ein Unding ist.

Der Aspekt des Fundamentalismus hielt mich auch vom Judentum und vom Hinduismus ab. Die einzige Glaubensgemeinschaft, von der ich noch nicht gehört habe, dass sie für ihren Glauben tötet, ist der Buddhismus. Religionszugehörigkeit ist für mich generell aber kein Argument für oder gegen eine Person. Suspekt wird mir jemand erst, wenn er so sehr von seinem Plan überzeugt ist, dass er bereit ist, dafür zu töten. Leute, die angeblich genau wissen, was gut für einen selbst ist, sind in meinen Augen äußerst fragwürdig.

Was bleibt also? Atheismus? Das war mir dann doch auch nicht recht. Eine vollkommen wissenschaftliche Welt ohne die beschützende Hand, oder wenigstens eine, die den Anstoß für alles andere gab, ist mir zu kalt. Mir, wie vielen Menschen, ist es wohl lieber, sich der Hoffnung einer personifizierten Antwort auf die Frage "Warum?" hinzugeben, und sei sie noch so trügerisch.

Vorerst kam ich somit zu dem Schluss, dass Religion eine Trost und Hoffnung spendende Sache sein kann, dass aus ihr heraus aber auch einige der blutigsten Konflikte entstanden sind, wobei diese leider nicht, wie die Kreuzzüge, der Vergangenheit angehören. Des Weiteren gibt es meiner Meinung nach keinen Widerspruch zwischen Wissenschaft und der Vorstellung eines "Schöpfers", sondern eher eine Verschiebung der Grenzen. Der Mensch ist auf seinem Weg auf das Feuer gestoßen, je weiter er das Feuer schürt, desto weiter erhellt es seine Umgebung. Trotzdem gibt es immer einen Teil, der außerhalb des Feuerscheins liegt. Dieser mag kleiner werden, aber er bietet genug Platz für die Phantasien des Menschen, wenn er sie wünscht. Und so lange es diesen Raum gibt, ist es meiner Meinung nach gut, wenn man ihn mit einer tröstenden Hoffnung füllt. Hass und Krieg gibt es schon in der Helligkeit genug.