Mittwoch, 1. September 2010

Da waren wir auch schon mal weiter...

Seit einigen Tagen nun geistert ein neues Gespenst durch die Medien, das doch eigentlich ganz alt ist. Und eigentlich war man davon ausgegangen, dass es überwunden sei. Doch wie so oft beliebt es der Welt, uns eines Besseren zu belehren. Und dann auch noch aus einer Richtung, aus der zumindest ich nicht damit gerechnet hätte. Stellt sich eigentlich nur noch eine Frage: Warum?

Schon der Titel des Buches ist provokant. Und das Gefühl nimmt noch zu, wenn man erfährt, mit welchen Thesen die neue Veröffentlichung des Bundesbankvorstands- und SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin gefüllt ist. Deutschland sei auf dem Weg zu verdummen. Das ist zunächst mal nichts Neues, diese Empfindung beschleicht einen jedesmal, wenn man das Fernsehprogramm einiger Sender studiert oder sich manche Mitmenschen anschaut. Die Ursache, die Sarrazin ausfindig gemacht haben will, ist jedoch neu: Es liegt an den Migranten, genauer vor allem an den Muslimen und noch genauer an deren Genen und Glauben. Die seien weniger intelligent, weil sie von den Gastarbeitern des Wirtschaftswunders abstammen und diese hätten leider nur geringe Intelligenz. Die Intelligenz ist für Sarrazin von den Genen determiniert und damit vererbar und das "Muslim-Gen" hindere nun unsere Mitbürger daran, so viel zu leisten, wie das andere könnten. Damit nicht genug, ihre Religion sei weit aus weniger integrierfreudig als andere.

Sofern sich der von Sarrazin beschriebene Verdummungsprozess noch nicht auch auf einen selbst ausgeweitet hat, so fällt einem sehr schnell ein, dass es da eine Büchse gibt. Eine tief eingemottete Büchse, an der besonders wir Deutschen ungern rühren und zwar aus gutem Grund. Ihr Inhalt stinkt. Noch immer versuchen wir verzweifelt, ihre Ausdünstungen in den Griff zu bekommen, in denen wir uns bis vor etwa 65 Jahren bewegten. Die theoretische Grundlage ist allerdings noch älter, stammt aus der Jahrhundertwende zwischen 19. und 20. Jahrhundert.

Natürlich gibt es auch heute noch Verfechter solcher Gedanken, aber die werden glücklicherweise heute vom Verfassungsschutz beobachtet. Und ausgerechnet ein SPD-Mitglied öffnet nun dieselbe Büchse. Eigentlich hätte das nicht passieren dürfen.
Schaut man aber in die Laufbahn dieses Mannes hinein, so lässt sich feststellen, dass er schon so manches Mal eigentlich inakzeptable Äußerungen von sich gegeben hat. Beginnend mit abfälligen Bemerkungen über den Kleidungsstil der Bewohner einer Stadt, für die er zu dieser Zeit Finanz-Senator war, und sich steigernd über einen Ernährungsplan für HartzIV-Empfänger bei einem Tagessatz von 4,50 Euro, hin zu seinen Thesen zu Migranten in Deutschland entwickelt hat. Ein Armutszeugnis. Wer so etwas von sich gibt, der muss damit rechnen, abgestempelt und zumindest in die Nähe von Sozialdarwinisten und anderen pseudowissenschaftlichen Bewegungen gestellt zu werden, die verschiedene Klassen von Menschen postulieren.

Dass Migranten zusätzliche Probleme in Sachen Bildung haben, mag sein und dass Deutschland verdummt, ist Fakt. Das jedoch auf minderwertige Genetik und Religion zu schieben, ist grundlegend falsch. Vielmehr ist die Politik dafür verantwortlich. Diese Entwicklung ist nicht erst seit gestern bekannt und anstatt sich Gedanken, vernünftige Gedanken, darüber zu machen, wie man dieses Problem angeht, halten wir daran fest, uns 16 verschiedene Bildungssysteme zu leisten und verstricken uns in Grabenkämpfen, ob 12 oder 13 Jahre bis zum Abitur und ob dreigliedriges Schulsystem oder Gesamtschulen das Richtige sind.

Wer dagegen an will, dass "das Land der Dichter und Denker" zusehends degeneriert, der sollte dafür sorgen, dass seine Bevölkerung annähernd gleiche Chancen auf und bei Bildung hat. Die Genetik zu bemühen, ist bequem, weil sie uns aus der Verantwortung nimmt, etwas zu ändern. Genetik sorgt dafür, dass man sagen kann: Wir würden ja gern, aber die Gene, die können wir nicht verändern. Und das ist falsch. Ein Begriff wie Intelligenz, der bis heute schon definitionstechnisch umstritten ist, der sollte nicht als gegeben hingenommen werden. Selbst, wenn sich eines Tages herausstellen sollte, dass "Intelligenz" von Genen festgelegt ist, und die neuesten Erkenntnisse deuten eher in die andere Richtung, dann hätten wir doch trotzdem die Pflicht, alles daran zu setzen, jeden der willig ist, zu bilden. Außerdem sollte man daran gehen den Müll, der uns jeden Tag um die Ohren gehauen wird, dorthin zu befördern, wo er hingehört, nämlich in die Tonne. Zweifellos landet auch Sarrazins Machwerk irgendwann dort. Wenn wir uns wieder einigermaßen beruhigt haben. Und dort ist es auch besser aufgehoben als in einer Büchse, in der ersteren wühlt nämlich niemand freiwillig herum.

Was Sarrazin jedenfalls zweifelsfrei bewiesen hat, ist, dass unsere Republik noch nicht so weit von der Büchse entfernt ist, wie sie es gern wäre. Der Medienrummel und die zögerlichen Versuche, Sarrazin seines Amtes zu entheben oder ihn aus seiner Partei zu werfen, untermauern das.

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