Sie ist nicht da, darum ringe ich.
Sie fehlt hier, also suche ich.
Sie ist da, das weiß ich.
Sie spricht, ich lausche.
Sie scheint auf, ich sonne mich.
Sie geht, ich seufze.
Ich warte auf sie, worauf wartet sie?
Ich träume von ihr, wovon träumt sie?
Ich denke an sie, woran denkt sie?
So weit voneinander entfernt sind wir, wir sind uns doch so nah.
Eines Tages spreche ich sie aus.
Sonntag, 25. Mai 2014
Mittwoch, 5. März 2014
Omnibusgeschichten
Seit ich zur Schule gehe, ist der
öffentliche Nahverkehr mein steter Begleiter. Ich bin ihn also
gewöhnt und dennoch überrascht er mich immer wieder wegen der
vielen kleinen Momente, in denen es mir wie der Schmelztiegel, die
konzentrierte Form der großen Welt im kleinen vorkommt. Man könnte
meinen, es sei die unpersönlichste Sache der Welt, jeder sei nur auf
dem Weg zur nächsten Haltestelle und zu seinem Ziel, doch das stimmt
nicht. Wer sich die Zeit nimmt, der kann sich auf den Weg freuen. Es
sind diese Momente für die ich das Reisen schätze, da spielt die
Aussicht, an sein Ziel zu gelangen, nur eine untergeordnete Rolle.
Hier sind ein paar Geschichten, die mir so klar im Gedächtnis
geblieben sind, dass ich sie aufschreiben musste.
Wie zerrupft sieht es aus. Blau auf
weiß. Oder vielmehr weiß auf blau. Oder wie eine Straße, auf der
der Schnee, von dem wir so wenig hatten, in lockerem Sande liegt.
Oder wie das dünner werdende Fell eines weißen Tiers, nur passt die
Wirbelsäule dort nicht hinein. Oder war es doch ein halber
Reißverschluss? Und dort die Gischt, wo kommt die her? Quer darüber
liegen die Streifen, die aussehen als gäbe es den Schlitten des
Weihnachtsmannes wirklich und er hätte da seine Spuren hinterlassen.
Und alles in einem so klaren Licht, das man meinen mag, es wäre eine
ganz andere Zeit.
Dann kommt der Bus, hinein in die
stickige Wärme, irgendwo bricht für ein kleines Kind die Welt
zusammen, wenigstens der Lautstärke des Wehklagens nach zu urteilen.
Ob es grad erfahren hat, dass das da eben nicht des Weihnachtsmannes
Schlittenspur, sondern bloß das Überbleibsel irgendwelcher
Flugzeugtriebwerke war? Während ich noch darüber nachsinne, wann es
eigentlich gerechtfertigt ist, den Weihnachtsmann als Illusion zu
denunzieren und ob es überhaupt in Ordnung ist, dem Nachwuchs erst
einen solchen Floh ins Ohr oder eigentlich ins Herz zu setzen, nur um
ihn dann nach ein paar Jahren unter Schmerzen operativ entfernen zu
müssen, hat eine ältere Dame, nachdem sie soeben Fahrkartenautomat
und Stempelanlage bezwungen hat, sich mit mitleidsvollem Blick dem
kleinen Jungen zugewandt: „Oh, was ist Dir denn passiert?“, die
Frage ist an den Jungen gerichtet, doch Tonfall und Blickrichtung
zeigen eindeutig auf die Mutter als Adressatin, die gerade wieder
beschwichtigend auf ihren Sprößling einredet. Im Blick der Mutter
spiegelt sich eine Mischung aus Entschuldigung und Ratlosigkeit.
Und dann plötzlich das: „Was? Ach,
hallo Schatz!“, der junge Mann hält das obligatorische
Kommunikationsutensil zunächst noch eine Weile ans Ohr, dann
plötzlich mit ungläubigem Blick von sich gestreckt, als könne er
nicht glauben, was er da gerade gehört hat und müsse das dem
anderen Ende der Telefonverbindung durch eine Grimasse verdeutlichen.
Dann, als erinnere er sich schlagartig daran, dass er es hier mit
einer auditiven, und nicht mit einer visuellen Verbindung zu tun hat,
hält er es wieder an sein Ohr: „Hallo? Was? Ich kann Dich nicht
hören!“ Sein Gegenüber scheint darüber großzügig hinwegsehen
zu können, denn wieder spricht der Herr: „Ich hör Dich ganz
schlecht. Was?“ Noch ein ungläubiger Blick und entgleiste Mimik in
Richtung des Geräts. Wieder ans Ohr: „HÄÄÄ? Ich leg' gleich
auf. Ich versteh Dich nicht.“ Entweder ist die Leitung in die
andere Richtung genauso schlecht, oder am anderen Ende lauscht
jemand, ohne zuzuhören. „Hallo, nein, ich hör' Dich immer noch
nicht. Ich leg' jetzt auf.“ Ein neuer Blick, in dem sich nun die
Ungläubigkeit mit einer gewissen Frustration mischt. Trotzdem kommt
das Nächste unerwartet und ein wenig drastisch vor: „Scheiße, ich
leg' jetzt auf, bist Du blöd?“ Auf den oben schon erwähnten Blick
zum Apparat folgt ein befriedigt erscheinender Druck auf die
offensichtlich berührungsempfindliche Oberfläche desselben. Es
stellt sich mir die Frage, ob in diesem Fall das Gerät zum ersten
Mal auf das „smart“ mehr Anspruch erheben darf, als sein
Besitzer.
Der hat nach einem prüfenden Blick in
die Runde, anscheinend beschämt, festgestellt, dass seine lautstarke
Konversation ihn zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses hat
werden lassen, und so versucht er, schnell den Ort des Geschehens zu
verlassen.
Der Abschied.
Ein Trauerspiel in einem Aufzug.
An der Tür spielt sich derweil eine
kleine Tragödie ab: Tochter, vielleicht 2 oder 3 Jahre alt und Papa
sitzen schon fast, als dem kleinen Mädchen auffällt, dass Mama
nicht mit eingestiegen ist. Die steht draußen vor der Tür und winkt
lächelnd. Doch die Kleine will das nicht. Schnell ist sie wieder
aufgesprungen und zur Tür gelaufen. „Mama, komm, wir fahren
gleich.“ Mama schüttelt den Kopf und kniet sich vor ihre Tochter:
„Nein, Papa und Du fahren. Ich komme erst später nach Hause.“
„Aber ich will nicht.“, über die Wangen des Mädchens kullern
plötzlich Tränen. „Mama, komm mit.“ „Ich kann nicht, Schatz.“
Da hebt es ein fürchterliches Weinen an und das Mädchen streckt von
tiefem Schmerz ergriffen die Arme nach der Mutter aus. Die umarmt sie
und drückt sie fest an sich. Einige Momente stehen sie so
umschlungen. Dann geht die Tochter langsam mit gesenktem Kopf an
ihren Platz zurück. Kurz bevor der Vater ihr tröstend über das
Haar streichen kann, dreht sie noch einmal schnell um und läuft
wieder zur Mutter, die noch immer am Eingang kniet, und drückt ihr
einen Kuss auf die Lippen. Dann reißt sie sich von der Mutter los
und geht zu ihrem Sitzplatz und schmiegt sich an den Vater.
Wer ist hier der Chef(koch)?
Ein Lustspiel in einem Aufzug.
Rotwein-Guy: (zeigt eine
selbstzufriedene Miene) „Und dann würde ich sagen, da Du ja
Rotwein besorgt hast, tun wir davon auch 'was rein.“
Hackfleisch-Rechner: (schaut ihn
ungläubig an) „Bist Du verrückt? In Bolognese gehört doch kein
Rotwein!“
Rotwein-Guy: (hat den Tonfall des
Gourmets angenommen) „Sicher, wenn man welchen zur Hand hat. Das
gibt dem Ganzen noch den richtigen Kick.“
Hackfleisch-Rechner: (sein Tonfall hat
dafür nur Verachtung übrig) „Du bist vollkommen verrückt, man
tut in Tomatensoße niemals Rotwein.“
Rotwein-Guy: (man hört den erhobenen
Zeigefinger aus jeder Silbe) „Wir reden hier ja auch von
Bolognese.“
Hackfleisch-Rechner: (versucht es mit
ein wenig Alltagsmathematik) „Ja, aber trotzdem, rechne mal das
Hackfleisch raus, was bleibt dann?“
Rotwein-Guy: (triumphierend) „Ja wenn
wir erst anfangen, das Hackfleisch rauszurechnen, können wir uns ja
die Bolognese gleich sparen.“
Hackfleisch-Rechner: (herausfordernd)
„Ich wette mit Dir, dass außer Dir sowas niemand tut, ich guck das
nach.“
Rotwein-Guy: „Chefkoch?“
Hackfleisch-Rechner:„Ja.“
Rotwein-Guy: „Okay, sagen wir auf der
ersten Seite sind mindestens drei Rezepte?“
Hackfleisch-Rechner: „Angenommen.“
(Sie schlagen ein.)
Rotwein-Guy: (Nach kurzer Pause) „Ich
bin sowieso der einzige, der hier richtig was tut.“
Hackfleisch-Rechner: „Wieso?“
Rotwein-Guy: „Ich hab viel mehr
Hackfleisch im Gepäck als Du.“
Hackfleisch-Rechner: (zeigt ihm einen
Vogel) „Ach, Du spinnst doch!“
Hier ist meine Haltestelle und ich
steige aus, in dem Wissen, dass morgen wieder eine Geschichte auf
mich wartet.
P.S.: Die Überschrift ist für Altphilologen.
P.S.: Die Überschrift ist für Altphilologen.
Freitag, 7. Februar 2014
Geschenke
Zugegebenermaßen etwas spät und damit in gewisser Weise schon eine traurige Einsicht, wünsche ich allen, die sich hier hin und wieder hinverirren ein frohes und erfolgreiches Jahr 2014. Das sich erst jetzt wieder etwas hier findet, zeigt leider auch, das meine eignen Vorsätze nicht recht haben fruchten wollen. Denn eigentlich hatte ich vor, schon zum neuen Jahr wieder hier neuen Lesestoff zur Verfügung zu stellen. Ich werde mich bemühen, es in Zukunft nicht an dem dazu nötigen Elan fehlen zu lassen. Hier aber zunächst einmal zum eigentlich Relevanten. Es ist ein altes Drama, dem sich der geneigte Leser wohl
auch selbst schon gegenüber sah: Das Geschenk. Dies ist also nicht
vielmehr als eine weitere persönliche Fußnote zu diesem Problem, in
der sich der eine oder andere wiederzuerkennen sich im Stande finden
dürfte.
Zunächst zum Begriff: Was ist „Geschenk“? Rein
etymologisch betrachtet taucht es im Althochdeutschen als „gift“,
so viel wie Gabe, Belohnung Geschenk, auf und ist in dieser Form ja
auch heute noch, vor allem im Englischen "gift" oder
"give", im Deutschen nur noch in feststehenden Begriffen
(„Mitgift“) vorhanden.
Geht man frei nach Ludwig Wittgensteins Sprachspielen an
die Sache, dann kommt einem das Wort in den verschiedensten Kontexten
unter. Beim späten Wittgenstein ist Sprache ein Spiel mit bestimmten
Regeln und jeder Sprecher ist Mitspieler. Der Einzelne lernt durch
die Beobachtung der Sprecher und erhält einen Eindruck davon, wie
die Regeln sind, wenn er die Reaktion der Mitspieler auf einen Zug
eines Spielers verfolgt, der entweder anerkannt oder kritisiert wird.
Sprache verliert dadurch bei Wittgenstein an der von anderen früheren
Ansätzen vertretenen Normativität und Anspruch, Wirklichkeit
abbilden zu können, weil es schlicht ein menschliches Verhalten
darstellt, zu parlieren.
Schaut man sich nun die Kontexte an, so findet man, dass
solches gesagt wird: „Es ist ein Geschenk“ oder „Packen Sie es
bitte als Geschenk ein“ oder bemerkt manchmal , man wolle „das
nicht einmal geschenkt haben“. Es gibt „Geburtstags-“,
„Weihnachts-“ oder auch „Brautgeschenke“. Man „schenkt“
jemandem „seine Liebe“ oder „sein Vertrauen“. Und dabei wird
schon ersichtlich, dass der Inhalt eines Geschenks völlig
unterschiedlicher Natur sein kann.
Es stellt sich darum aber die Frage: Was zu schenken es
wert ist. Es entscheidet ja offensichtlich weniger der Inhalt als die
Geste und dennoch nicht so sehr, dass sich die Mutter auch beim
zwanzigsten Mal noch über Topflappen oder Lockenwickler freut,
genauso wie der Vater in Anbetracht der Socken oder der Krawatte die
Augen verdreht.
Es sollte also etwas sein, das zugleich die
Wertschätzung für den anderen auszudrücken, zugleich aber auch die
Wertschätzung des anderen einzufangen vermag. Ein Buch? Immer gut.
Vor allem aus des Germanisten Sicht. Eines das schon der eigenen
Qualitätskontrolle unterzogen worden ist? Das bewahrt vor der einen
oder anderen bösen Überraschung, aber möglicherweise nicht vor der
entscheidenden, nämlich dass der andere das Geschmacksurteil nicht
teilt.
Eine CD? Prinzipiell dasselbe Problem, wobei hier ein
Weniger an Unsicherheit im Geschmack mit einerm Mehr an Unsicherheit
über den Bestand des Beschenkten tauscht.
Ohnehin scheint noch wichtiger aber die Originalität.
Denn je besser, um es sprachtheoretisch zu formulieren,
„Selbstoffenbarung“ mit „Appell“ verbunden sind, desto eher
scheint sich der gewünschte Effekt einzustellen. Geld und mit
solchem erworbenen Gütern haftet in diesem Zusammenhang immer ein
gewisses Stigma an. Genauso schief aber würden die Blicke, wenn die
selbstgemalten Bilder, die in Kindertagen so wohlwollend aufgenommen
werden, ganz gleich sich wohl bei mir auch damals schon abgezeichnet
haben muss, dass daraus nie ein Picasso werde, wieder zum Einsatz
kämen.
Also was tun, sprach Zeus und klingt dabei so ratlos,
obgleich ihm noch die geballte Macht der griechischen Gottheit zur
Verfügung stand. Einige laufen im letzten Moment in den Laden und
greifen das Nächstbeste aus dem Regal. Andere, hartgesottenere
Gemüter sind in der Lage, einige sogar ohne mit der Wimper zu
zucken, weiterzureichen, was sich in ihrem Besitz befand, ob nun
durch Eigenerwerb oder schon da Geschenk. Die einzig zulässige
Situation scheint aber zu sein, dass es sich dabei um etwas handelte,
was ihnen selbst am Herzen hing. Da überwiegt klar der Anteil
„Selbstoffenbarung“ und mit ein wenig Gespür für den Gegenüber
können dies sogar echte Sympathieträger werden. Die absoluten
Hardliner schließlich verschenken den mittlerweile sprichwörtlichen
„Zehner im Umschlach“, wobei sich schon in der saloppen
Aussprache die gleichartige Einstellung zur Sache insgesamt
vollständig auszudrücken vermag.
Der entscheidende Gedanke, wie immer zum Schluss: Ein
Geschenk ist ein zutiefst zweiseitiges, denn der Schenker kann, das
„richtige“ Geschenk vorausgesetzt, nicht nur dem Beschenkten,
sondern auch sich selbst eine große Freude damit machen. Und das ist
letztlich das höchste Ziel.
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