Da saß er wieder einmal an seinem
Pult, die Feder in der Hand, aber die Worte, sie wollten nicht
kommen. Er hatte sie gebeten, sie hatten sich nicht gezeigt. Er hatte
sie ignoriert, doch waren sie darin besser gewesen als er.
Schließlich hatte er sie mit aller Gewalt auf's Papier zu bringen
versucht, doch sie sträubten sich erfolgreich dagegen. Und so saß
er wieder untätig vor einem neuen Bogen, nachdem er wegen der Wut
über die eigene Unfähigkeit bereits mehrere Blätter zerknüllt und
gegen die Wand geworfen hatte. Ein kleiner Haufen lag ihm nun
gegenüber und grinste ihn höhnisch an. Natürlich konnte ein Haufen
Altpapier, der vielleicht noch allenfalls als Schneeballersatz seinen
Zweck haben mochte, nicht höhnisch grinsen, es war eher das Weiß,
schneeweiß. So wie dieser aussah, wenn er sich gerade aus der Luft
auf einen Zweig niedergesenkt hatte. Keine erkennbare Verunreinigung,
keine Spur menschlichen Schaffens. Und genau das war es, was ihn zur
Weißglut trieb. Wenn er wenigstens einen Strich auf den Blättern
hinterlassen hätte. Ein rigoroser Schlussstrich quer durch die
unbeholfenen Versuche, die Worte auf's Papier zu bringen, die nicht
kommen wollten – nein, sie kamen nicht, wenn man sie rief. Dafür
umso öfter, wenn man sie brauchte. Dann waren sie plötzlich da,
kitzelten einen im Ohr und zauberten mit ihrer Wörterwärme ein
Lächeln auf so manches Gesicht, tanzten einem vor den Augen so wild
und zahlreich, das man sich fragen mochte, ob man überhaupt in der
Lage sein würde, sie in Ordnung zu bringen. Vielmehr lief man
Gefahr, von ihnen fortgerissen zu werden in einen euphorischen
Taumel, der einem selbst, solange er anhielt, wie Sekunden erscheinen
mochte, im Nachhinein sich aber als Stunden herausstellte, von dem
andere aber nicht die leiseste Ahnung bekamen. Gesetzt den Fall, dass
sie nicht diesem jemand höchst selbst auf der Nasenspitze
herumtanzten.
Wörter kannten keine Zurückhaltung,
egal wer sie, wo auch immer und wann auch immer äußerte. Sobald sie
von der Zunge gesprungen waren, hielt sie niemand mehr auf,
eigentlich war es auch schon auf der Zunge zu spät, wenn man es
recht bedachte. Dort genügte ein unbedachtes Luftholen, denn sobald
sie die Möglichkeit erkannten, nutzten Worte sie gleich. Nein, ihre
Handhabung war nicht einfach, ganz zu schweigen von dem Versuch, sie
auf eine feste Unterlage zu bannen. Sie liebten es nicht, denn
eigentlich war ihnen das freie Schweben im Raum, die Sekunden und
Sekundenbruchteile von plötzlicher Energie in denen sie sich drehten
und wendeten, um dann erneut spurlos zu verschwinden, der liebste
Raum. Ihnen fehlte auf dem Papier der warme Atem, der sie anbließ
und ihnen die Kraft verlieh, bis in die höchsten Höhen
aufzusteigen. Schnell umschmeichelten sie dann das Ohr eines anderen,
wisperten leis' hinein oder traten sanft aber bestimmt auf, hin und
wieder sogar, wenn sie besonders übermütig waren, nahmen sie ihre
ganze Wucht zusammen und dröhnten im Kopf des Hörers, das er
meinte, sich vor ihnen verschließen zu müssen. Doch das gelang nie
wirklich gut. Wörter waren nicht dafür bekannt, trotz ihres
heimlichen Daseins und nur plötzlichen Auftretens im Mittelpunkt,
sich, wenn sie sich einmal den Weg gewählt hatten, von ihm
abzuweichen. Oh, und nie nahmen sie etwas zurück, man konnte ihnen
so viele weitere nachsenden wie man wollte, wenn sich dafür
überhaupt welche hergaben. Die ersten die auftraten, hinterließen
immer den bleibendsten Eindruck. Deswegen war es ja auch so wichtig,
sie, wenn sie sich einem schon anboten, alle aufzunehmen und dann
sorgfältig auszuwählen, welche man wann und wo wieder frei ließ.
All darüber dachte er so nach, während
er mit erstarrter Miene und erstarrtem Schreibutensil an seinem Pulte
saß. Er hatte wieder einmal umsonst gewartet. Er blickte noch einmal
auf das immer noch weiße Blatt Papier vor ihm. Die so frohgemut
ergriffene Feder, die nun nutzlos Zentimeter über ihrem Ziel
verharrte. Er war gewissermaßen dem Schreiben so nah, wie man ihm
nur sein konnte, ohne tatsächlich zu schreiben. Und doch hielt ihn
eine unsichtbare, nicht zu durchbrechende Wand zurück. Er drückte
unwirsch mit Daumen und Zeigefinger seiner Schreibhand gegen den
Griff des Füllers. So kräftig, dass aus seinen Fingern schon das
Blut wich und sie weiß wurden. Schon wieder weiß! Wie konnte eine
so nichtssagende Farbe solche Wut hervorrufen? Entfernter konnte man
dem Ausdruck nicht sein... Nichtssagend! Das war es, weiß war keine
Farbe, um mit ihr zu sprechen. Unschuld und Reinheit haben nichts mit
dem Sprechen gemein. Sprechen farbenfroh, war bunt, bei manchem auch
schmutzig, aber nie war es so steril wie ein weißes Blatt Papier.
Nur wer nicht zu sprechen wusste, dessen Blatt blieb weiß. Habe ich
denn zu sprechen verlernt?! Bin ich nicht deswegen überhaupt hier
her getreten? Warum sollte ich Stift und Papier, seit Alters her die
zweitliebste Form der Kommunikation ergreifen, wenn nicht um damit zu
sprechen? Also, ihr vermaledeiten Wörter kommt! Ich habe alles
getan, was ich kann, damit ihr mich einmal wieder besucht. Was habe
ich euch getan, dass ihr mich meidet? Dann, ganz langsam, er bemerkte
es zunächst nicht, sammelte sich ein wenig Tinte an der frisch
geprüften Feder. Langsam wurde es mehr bis ein einzelner Tropfen
tief blau sich bereit machte, von der Spitze sich zu lösen. Ein
seltsamer Lichtreflex erregte die Aufmerksamkeit des Schreibers.
Gerade als er sich diesem zuwandte, hüpfte der Tropfen. Nur einer.
Der Schreiber hielt den Atem an. Und mit einem nahezu
ohrenbetäubenden Krachen traf die Tinte das Papier, um sich in
rasender Geschwindigkeit darauf auszubreiten.
Winzige Äderchen bläulichen Lebens
suchten sich einen Weg durch das faserige Material der Zellulose. Vor
den ungläubigen Augen des Betrachters gab das Papier nach und wie
auf einem See, in den man einen Stein wirft, strebten Wellen dem Rand
des Blattes zu. Tiefes Blau breitete sich aus nur um kurz darauf
abgelöst zu werden von schnell wechselnden Bildern, sodass das
Papier zum Kaleidoskop noch nicht gekannter Welten wurde. Dort lag
ein großer See, sodass der Schreibende zunächst noch glaubte, bloß
Tinte zu schauen und sich noch fragte, wie ein einzelner Tropfen
solche Ausmaße annehmen konnte. Doch dann war da ein fahles, klares
Licht im Blau. Ein Mond. Er erhellte das Blau des Himmels, sodass man
dessen Bläue erahnen konnte, während das darunter liegende
Gewässer, so schwarz wie die tiefsten Tiefen des Kosmos wirkte. Und
noch während dieser Gedanke im Kopf des die Feder Haltenden Gestalt
annahm, zeigten sich auf der Oberfläche nun kleine Lichter diffus
zunächst, doch dann immer konturierter. Sie schlossen sich zu
Gruppen zusammen, mochten wohl Galaxien und Nebel bilden. Dann
verloren sie sich in neuerlichem Nebel, der ihre Helligkeit zunächst
schwächte und dann gänzlich verschluckte.
Aus ihm schälte sich eine junge Sonne,
beschien eine Wiese umgeben von Bäumen und im Hintergrund ein
Bauwerk, dessen Konturen, vom Nebel umfangen, doch schließlich
deutlich erkennbar in die Höhe ragten. Wieder veränderte sich das
Bild und weit oberhalb der Erde fand sich der Betrachter nun wieder,
sacht' glitt er geradeaus, schraubte sich mal tiefer, mal höher und
um sich selbst, schwebte zwischen Wolken hindurch, die die
unwahrscheinlichsten Gestalten formten. Dann ein Gesicht, das mit leuchtenden
Augen und einem breiten Lächeln vom Blatt zum Schreiber aufblickte.
Es drehte sich zur Seite und neben seinem Profil erschien ein
zweites, ihm zugewandtes Gesicht, das ebenfalls lächelte. Sie
verfielen in ein lautloses Gespräch. Während sie sprachen
entfernten sich die Gesichter von ihrem Zuschauer, sodass ihre
Umgebung ins Auge fiel. In einer gemütlichen kleinen Stube saßen
sie an einem Tisch und zwischen ihnen lag ein Blatt Papier. Weiß
zunächst, doch dann ergriff die eine Gestalt einen Stift, um mit
wenigen, leichten Strichen Wörter auf dem vormals unbeachteten Bogen
auftauchen zu lassen. Mit einer einladenden Geste schob die erste der
zweiten Gestalt das Blatt zu und hielt auffordernd den Stift von sich
gestreckt. Da ergriff die zweite der ersten Hand. Gerade setzte sie
mit sinnender Miene die Feder auf das Papier als das Bild sich noch
einmal veränderte: Nun war das Blatt zu sehen und in klarer, fast
zierlicher Schrift standen dort die Worte der ersten Gestalt: „Mit
diesen Worten beginnt die Geschichte...“
Widerwillig, zwischen unbändiger
Vorfreude auf das Kommende und Trauer über das Vorübergehen
zerrissen, löste sich der Schreiber aus der sanften Umarmung der
Worte. „Danke“, flüsterte er.