Dieser Text ist aufgrund eines Gedankenspiels, zu dem
uns einer unserer Philosophiedozenten aufgefordert hat, enstanden.
Wie die Überschrift vermuten lässt, geht es um den Spielfilm
„Matrix“, der wohl schon den einen oder anderen
Philosophie-Interessierten beschäftigt hat. Der theoretische
Hintergrund ist nach wie vor Descartes' Dualismus von Körper und
Geist.
Eine kurze Erklärung für die, die den Film nicht mehr
genau in Erinnerung haben und für die, die ihn überhaupt nicht
kennen: Der Protagonist Neo, der bis dahin ohne sein Wissen in der von
Maschinen erschaffenen virtuellen Welt der Matrix gelebt hat, wird
von Morpheus, der sich sowohl in dieser virtuellen Welt als auch in
der Welt außerhalb der Matrix bewegt, vor die Wahl gestellt, ob er
ebenfalls den Schritt aus der Matrix heraus unternehmen will. Das
Treffen zwischen beiden findet innerhalb der Matrix, in einem
verlassenen mehrstöckigen Haus statt. Morpheus und Neo sitzen sich
in einem Raum in zwei Ledersesseln gegenüber. Morpheus hat zwei
Kapseln bei sich, von denen die rote Neo den Weg aus der Matrix
ebnet, die blaue hingegen seine Erinnerungen an das Zusammentreffen
löscht. Neo entscheidet sich für die rote Kapsel.
Der Dialog zwischen Morpheus und Neo im verlassenen Haus
gehört zweifellos zu den Schlüsselszenen des Films, in der sich für Neo
bestätigt, dass seine Zweifel an seiner Welt nicht grundlose
Paranoia, sondern berechtigt sind. Morpheus, bezeichnenderweise
sowohl mit dem Namen des griechischen Gottes des Traumes, als auch
mit seiner Insignie, einer Kapsel, ausgestattet, bietet Neo die
„Wahrheit“ an. Die Wahrheit bedeutet hier, dass er in einer
Scheinwelt gelebt hat, die als Gefängnis seines Verstandes dient.
Auf die Frage, ob dieser Moment nun zur realen oder zur
Scheinwelt des Films gehört, würde ich antworten, dass er in
gewisser Weise zu beidem gehört. Das Haus und auch das Zimmer sind,
wie Morpheus sagt, Teil der Matrix, die eine traumähnliche,
virtuelle Welt darstellt, in der die Menschen vom Aufwachen
abgehalten werden. Auch das Aussehen der Protagonisten gehört, wie
sich später herausstellt, zu den Illusionen, die diese Welt erzeugt.
Selbst die Kapseln, zwischen denen Neo wählen soll, sind
höchstwahrscheinlich nur Schein. Zusammenfassend träumt Neo, er
sitze mit Morpheus in zwei roten Ledersesseln, um zwischen Matrix und
„echter“ Welt zu wählen. Was aber in meinen Augen etwas Anderes
darstellt, ist Neos Entscheidung die rote Kapsel zu schlucken.
Weniger der Akt des Kapselschluckens, der ja geträumt ist, als viel
mehr die Entscheidung selbst, die im Nachhinein zum Aufwachen Neos
führt. Ich denke, dieser Willensakt kann nicht von der ihn
umgebenden Matrix stammen, weil er in direkter Linie dem Ziel der
Matrix, die Menschen sediert zu halten, widerspricht und im Film
sieht es so aus, als ob Neo danach in der realen Welt aufwacht.
Sicher kann man sich da natürlich nicht sein, es könnte sich auch
um einen geschickten Auffangmechanismus für Skeptiker handeln.
Descartes würde an dieser Stelle vermutlich zustimmen
und darüber hinaus noch einwenden können, dass Neo, hätte er
gründlicher nachgedacht, nur sicher wäre, dass er selbst existiert,
insofern er an der Matrix zweifelt. Morpheus und die umgebende Welt
könnten eine Täuschung der Matrix sein. Die Matrix , die ja in
gewisser Weise die Rolle des deus malignus übernimmt, könnte ihm
freilich auch die Entscheidung und vor allem den erfolgreichen
Austritt aus der Matrix nur vorgegaukelt haben, während er in
Wirklichkeit nur in eine „zweite“ Stufe der Matrix gewechselt
ist. Insofern wäre die Täuschung der Matrix natürlich noch
wirkungsvoller, weil Neo vermeintlich befreit, wohl wenig Zweifel an
seiner neuen Welt hegen würde.
Mir scheint sich die Frage gerade in die Richtung zu
verschieben, wie viele Scheinwelten es tatsächlich gibt. Die
Existenz einer realen Welt würde ich zumindest deswegen
voraussetzen, weil nach meinem Verständnis jede virtuelle bzw.
geträumte oder erdachte Welt einen Ursprung braucht. Damit ist
freilich noch nicht gesagt, dass die Welt, in der Neo nach der
Kapselszene aufwacht, diese sein muss. Tatsächlich können wir ja
sogar festhalten, dass sie der Ursprung nicht sein kann, weil sie
lediglich die fiktionale Welt eines Drehbuchs ist.
Ich würde mich aber abgesehen von solchen
weiterführenden Überlegungen weiterhin dafür entscheiden, mit
einem „beides“ zu antworten. Das konkrete Aussehen der
Kapselszene gehört zur Scheinwelt, die die Protagonisten
durchschreiten, was aber Teil der realen Welt ist, ist Neos sich
bestärkende Zweifel an der Matrix und schließlich seine
Entscheidung, aus der Matrix heraustreten zu wollen, unabhängig
davon, wie erfolgreich seine Bestrebungen nun gewesen sein mögen.
5 Kommentare:
Welch spannendes Thema, Matrix und die Metaphysik hatte ich in diesem jahr sogar als Abiturthema gestellt. Die Ferien fangen bald an und dann lese ich Deine Posts etwas intensiver und schreibe etwas dazu ...
beste Grüße, W. Heim
Ich freue mich schon, wieder mal Kommentare von Ihnen zu lesen.
Ich habe lange über Matrix nachgedacht. Habe ausgehend von Platons Zwei-Welten-Theorie, Descartes Überlegungen zum "sum" und P. Watzlwicks Ansatz der konstruierten Dimension von Wirklichkeit letztlich die Erkenntnis gewonnen, dass das Potential des "Augenblicks" die Frage nicht beantworten lässt, welcher "Welt" die Kapselszene zuzurechnen ist.
Im Moment des Übertritts bzw. das Schlucken der Kapsel fallen "Zeiten" zusammen, denn der Augenblick ist das Ergebnis der Vergangenheit, er ist das Momentum des Jetzt und hat das Potential zur Zukunft. Das mag ein holistischer Ansatz sein, führt mich letztlich aber dazu, dass die Kapselszene pure Wirklichkeit sein muss, denn: "Wir sind!"
beste Grüße
Heißt das also, dass wir für derlei Betrachtungen die Zeit nicht in Anspruch nehmen dürfen, weil wir uns nur des Hier und Jetzt sicher sein können, während Vergangenheit und Zukunft allenfalls indirekt wahrnehmbar sind? Ich lese gerade ein Buch, in dem es u.a. auch um Heideggers Überlegungen zum Sein geht. Wenn man tatsächlich davon ausgeht, dass das Sein keine nachgestellte zweite Phase nach der Vorstellung der Eigenschaften eines Gegenstandes ist, sondern umgekehrt gerade das "Dasein" vor allem anderen steht, dann müsste man wohl auch über die Kapselszene sagen, sie sei real. Was mich gerade umtreibt, ist die Behauptung, es bedürfe gar keiner "realen" Welt, um eine virtuelle zu erschaffen. Das kann ich mir bisher nicht vorstellen...
Im Grunde ist sind die Kategorien von Kant (Raum und Zeit) hier tatsächlich schwierig. Ich weiß jedenfalls nicht, wie ein Zeitkorsett hier weiterhelfen kann. Das Paradox der gleichzeitigen Ungleichzeitigkeit spiegelt dieses Dilemma wieder. Ein Augenblick ist ja immer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich. Heidegger ist da schon ein ganz guter Weg.
Ich bin inzwischen der Meinung, dass die Begrifflichkeiten real bzw. virtuell nicht mehr ganz angemessen sind, weil das Reale viel zu viele Erwartungen weckt und etwas suggeriert, was die unvermeintliche Realität eben nicht mehr leisten kann, denn: Eine virtuelle Welt ist ja immer eine reale Welt. Sie existiert als eine Art Vorstellungswelt. Wenn man in den "Meditationen" nachschaut, dann führt Descartes das Verb "vorstellen" auch unter dem Verb denken. Meine ich jedenfalls. Man muss hier vielmehr zwischen dem Dasein und dem Sosein unterscheiden. Die virtuelle Welt existiert, aber wie sie beschaffen ist, das ist die große Frage ...
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