Es ist wieder mal soweit. Die Zeit ist
reif und alle freuen sich drauf! Naja, eigentlich nicht, aber mancher
vielleicht. Wer sich sicherlich darauf freuen dürfte sind die, die
ohnehin schon da sind, wo sie deswegen hinkommen könnten, und die,
die noch nicht da sind, aber deswegen dahin kommen könnten, deren
Chancen, es tatsächlich zu schaffen, werden gemeinhin eher als
gering eingeschätzt.
Die Rede ist natürlich von der
Bundestagswahl 2013. Seit Wochen beschweren sich alle darüber, dass
sie nichts davon mitkriegen, wie die Parteien sich auf den großen
Termin vorbereiten. Stattdessen beschränken sich alle darauf, wenn
doch mal aus Politikerkreisen etwas laut wird, das auch nur
geringfügig nach Kritik am jeweiligen Gegner klingt, dies sofort
solange als wahlweise „Wahlkampftaktik“, „Wahlkampfgehabe“
oder, mein Favorit, „Wahlkampfmodus“ zu bezeichnen, bis
tatsächlich jemand glaubt, es handele sich ebendarum.
Wahlkampfmodus, da habe ich immer das Bild eines mehr oder minder
klugen Automaten vor Augen, der über zwei Weisen des Daseins
verfügt: Entweder ist er so eingestellt, wie es jeder von ihm
erwartet, und keiner schert sich weiter darum, während er ruhig in
seiner Ecke steht und vor sich hinsummt. Plötzlich aber leuchten
diverse rote Warnlämpchen auf, ein hohes Pfeifen wird laut und dann
ist es passiert: Er ist im berüchtigten Wahlkampfmodus, in
dem er unberechenbar und mit einem Mordsgetöse um sich schlägt, mit
Vorliebe auf seine Kollegen.
Mitunter geht das nach hinten los und
er muss, ebenfalls eine von mir heißgeliebte Redewendung,
„zurückrudern“, oder was in letzter Zeit noch häufiger der Fall
zu sein scheint, er muss von irgendeinem seiner Parteifreunde
„zurückgerudert“ werden. Stellen Sie sich bitte folgende
Idylle vor: Es sitzen Politikerin A und Politiker B, die hier nur
Stellvertreter sind, gemütlich in einem kleinen Ruderboot, eins von
diesen kleinen Nussschalen mit nur zwei Rudern und im besten Fall
zwei Bänken. Im Hintergrund knödelt Louis Armstrong sein allseits
bekanntes und beliebtes „What A Wonderful World“ aus dem
tragbaren Radio. Während disneyesk die Vöglein um den Sonnenschirm
kreisen, der beiden Bootsinsassen ein wenig Schatten gegen die
Sommersonne spendet, genießen diese das Leben. Dann plötzlich
Fade-Out für Louis oder wahrscheinlicher (und unserem aktuellen
Zeitgeist geschuldet): Ein übermäßig kräftiger Bass teilt
plötzlich den Song in gleichmäßige Viertel, während er um mehrere
Schläge pro Minute beschleunigt. Wie im Fieberwahn beginnt B mit
einem Megaphon, kein Mensch weiß, woher er das plötzlich hat,
politische Parolen in die sommerliche Landschaft zu brüllen. Während
die Vögel panisch das Weite suchen, ist A verzweifelt damit
beschäftigt, B auf seinen Platz zurückzuziehen, der sich nun wild
von einer Seite auf die andere wirft und weit über die Reling
hängend seine Pläne verkündet. Hell blinken Warnlampen und tönen
die Pfeifen. Endlich gelingt es A, B zum Stillsitzen zu bewegen und
das Boot, das darob mächtig ins Schwanken geraten war, wieder
leidlich auszubalancieren. Louis hat die Technos aus seinem Studio
wieder vertrieben und etwas verschämt ergreift A die Ruder und hält
auf das Ufer zu. Hatten Sie dieses Bild bei dieser Redewendung noch
nie vor Augen? Nein? Nun, dann wurde es aber allerhöchste Zeit.
Und als wäre das alles noch nicht
genug, ist dieser Politiker B in jeder Partei mindestens einmal
vorhanden. Insbesondere wenn die politischen Katzen ihre
parlamentarischen Ferien genießen, kommen deren Mäuse plötzlich
auf die grandiose Idee, die Schlagzeilenflaute mit ihren geistigen
Ergüssen überbrücken zu müssen. Das dabei die eine oder andere
Schiffbruch erleidet ist von vornherein klar, aber was tut man nicht
alles für ein bisschen mediale Aufmerksamkeit. Und so geistern immer
wieder geniale Einfälle durch die Gazetten, wie zum Beispiel vor
Kurzem der Einfall eines FDP-Vertreters, der meinte, man müsse die
Engpässe bei der Deutschen Bahn einfach dadurch beseitigen, dass
sich jetzt anständiges Bahnpersonal finde, das bereit sei, seinen
Urlaub abzubrechen und einzuspringen. Wen er sich damit zum Freund zu
machen glaubte, ist mir noch nicht ganz klar, sicher allerdings
dürfte sein, dass die FDP von den Bahnangestellten nun ein paar
Wählerstimmen weniger erhalten wird. Vielleicht sollte besagter
FDP-Mann seine nächsten Ferien abbrechen, um diesen Fauxpas
auszubügeln.
Ähnlich ungeschickt stellten sich
sicherlich auch die Vertreter der Grünen an, die lautstark darauf
bestanden, es müsse in Kantinen und Mensen in Zukunft einen
vegetarischen Tag geben, an dem keine Fleischgerichte serviert werden
dürften. So wichtig ich die Reduzierung des Fleischkonsums und so
nobel ich die Haltung des Vegetarismus oder gar Veganismus finde, so
schädlich dürfte für alle drei Anliegen ein solcher Vorschlag
gewesen sein. Plump gesagt: Dem ausgewachsenen Fleischfresser
verbietet man nicht einfach sein Fleisch. Etwas elaborierter: Auch
die Ernährungsgewohnheiten gehören im weiten Sinne zu den
Persönlichkeitsrechten des Menschen und demnach sind sie nicht so
leichtfertig einzuschränken. Diese Maßnahme, einmal durchgesetzt,
wäre darüber hinaus allenfalls ein Scheinsieg, denn, wenn ich mich
so ausdrücken darf, das Schwein rettet man nicht, indem man sein
fertiges Schnitzel nicht verzehrt, sondern indem man es gar nicht
erst zum Schnitzel werden lässt. Soll heißen, tiefgreifender und
damit wirkungsvoller wäre eine Maßnahme, die beim Bewusstsein der
Leute ansetzt und nicht erst bei ihren Essgewohnheiten. Wer
gewährleistet denn, dass man mit einem vegetarischen Tag in
Deutschlands Kantinen nicht einfach bloß die Umsätze der nächsten
Döner- und Currywurstläden in die Höhe treibt?
Aber was die Mäuse können, das können
die Katzen schon lange und daher dauert es natürlich auch nie lange,
bis diese wieder auf den Nasen der Republik herumtanzen. In noch
nicht dagewesenem, weil technisch nicht erreichbarem Umfang hat die
NSA-Affäre der Öffentlichkeit vor Augen geführt, dass das
geflügelte Wort vom gläsernen Bürger auf den Schwingen des
amerikanischen Nationaltiers schwebt. Um Schadensbegrenzung bemüht
und um das Wahlvolk nicht unnötig zu beunruhigen wurde hierzulande
prompt ein Ausschuss gebildet, der mit der Aufgabe betraut war, ein
wenig Licht in die Schatten der Geheimdienstarbeit zu bringen.
Möglicherweise hatte die Bundesregierung tatsächlich gute Vorsätze,
als sie mit allem gebotenen Respekt vor England und USA kroch. Die
Antworten blieben dennoch aus. Die USA machten sich nicht erst die
Mühe zu leugnen, das NSA und andere Geheimdienste Daten aus aller
Welt in großem Stil abfischen, worüber man vermutlich noch dankbar
sein muss, versicherten auch, es werde auf deutschem Boden deutsches
Recht gewahrt. Das kommt in etwa der Versicherung des Nachbarn
gleich, der auf der Leiter am gemeinsamen Zaun steht, einem die
Kirschen vom Baum klaut, dabei freundlich grüßt und hochheilig
verspricht, dazu nicht auch noch das Blumenbeet zu zertreten. Bei den
Briten war die Abspeisung noch lapidarer. Es hieß, man müsse solche
Anfragen direkt an den Nachrichtendienst des UK GCHQ stellen, da man
nicht zu dessen Arbeit in der Öffentlichkeit Stellung nehme. Stellt
sich eigentlich nur noch die Frage, ob das aus Ignoranz oder eigener
Unwissenheit über dessen genaue Aktivitäten geschieht.
Und als wäre das noch nicht genug
stellt sich dann doch tatsächlich ein gewisser Kanzleramtsminister
nach monatelangem Hin und Her, das weiter nichts als Ratlosigkeit und
Lippenbekenntnisse erbracht hat, vor die Mikrophone dieser Republik
und erklärt die NSA-Affäre für beendet. Das hat mit dem
Öffentlichkeits- und Transparenzanspruch, den eine Demokratie haben
sollte, gar nichts zu tun, eher mit den genervten Eltern eines
widerspenstigen Kindes, dessen Versuche, länger aufbleiben zu
wollen, für beendet erklärt werden, bevor es wieder ins Bett
gesteckt wird. Leider drängt sich mir dieser Eindruck vom Verhältnis
zwischen Regierung und Wahlvolk auch an anderer Stelle immer wieder
auf. Zudem heißt es aus derselben Partei, sei das informationelle
Selbstbestimmungsrecht ein Idyll aus alten Zeiten. Jawohl, das ist es
und in diesem Fall dürften sich die Konservativen ruhig mal ihrem
Namen gemäß verhalten und dieses Recht konservieren. Natürlich ist
jeder gehalten, seine Privatsphäre so gut es geht selbst zu schützen
und mit den Informationen, die ihm gegeben werden und die er vergibt,
sorgsam umzugehen. Aber wenn es sich um Lauschangriffe von
staatlicher Seite handelt, dann ist der Einzelne klar unterlegen. In
solchen Fällen ist es schlichtweg die Pflicht der eigenen Regierung,
ihre Bürger vor solchen Angriffen zu schützen. Klar ist auch, dass
eine Nationalregierung keine globale Gesetzgebung vollbringen kann
oder sollte, aber es wäre schon ein Schritt, wenn man mit den
anderen Staaten über solche Abkommen verhandelt, anstatt sich taub
für die Anliegen der eigenen Bevölkerung zu stellen.
Erst recht unnötig ist die Behauptung,
ebenfalls eines Unionspolitikers, keinem geringeren als unserem
Innenminister nämlich, der kurzerhand die Sicherheit zu einem
„Supergrundrecht“ erklärt, dem alle anderen Grundrechte
unterzuordnen seien. Das ist nicht nur sprachlicher Unsinn, denn wenn
man ein Supergrundrecht postuliert, kann man sich gleich an eine
Verfassungsänderung machen, Grundrechte heißt dieser Kanon
deswegen, weil er erst einmal grundsätzlich jedem und dabei jedes
Recht gleichermaßen zusteht. Es scheint, nicht nur unser
Innenminister, sondern insbesondere die Führung der „finest nation
of the world“ sollte sich einmal an ihre Wurzeln und an die Worte
eines ihrer Gründerväter erinnern, der in etwa sagte, wer seine
Freiheit aufgebe, um ein wenig mehr Sicherheit zu haben, der werde am
Ende beides verlieren. Im Kampf für die eigene Freiheit sollte man
sehr sorgfältig prüfen, dass man sie dabei nicht selbst erstickt.
So sieht es derzeit aus. Etwas mulmig
ist mir daher als Wahlberechtigter, blicke ich auf den nächsten
Sonntag. Soll ich nun Politautomaten, Megaphonschwinger, Mäuse,
Katzen oder Konservative wählen. Und womit werden sie uns dann in
Zukunft erfreuen? Ich wünsche Ihnen jedenfalls ein glückliches
Händchen am nächsten Sonntag im Lokal, in dem man vergeblich darauf
wartet, dass ein Kellner die eigene Bestellung mit den aufmunternden
Worten kommentiert: „Eine gute Wahl!“.
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